18. Nov. 2006 ― Schloß Rothmühle
Die besondere Aktualität Franz Anton Mesmers war im Mozartjahr 2006 dadurch gegeben, daß Mesmer zum Kreis der Naturforscher rund um Mozart gehörte, während der Tagungsort dadurch ausgezeichnet war, daß sich das Schlößchen Rothmühle seinerzeit im Besitz der Familie Mesmer befunden hatte.
Das Eingangsreferat hat die Lebensgeschichte Mesmers beleuchtet, von seiner Geburt (1734) und Jugend in der Bodensee-Region über seine Studienzeit in Dillingen und Ingolstadt schließlich zur prägenden Zeit in Wien, wo er nunmehr auf das Studium der Medizin umgesattelt hat und unter dem berühmten van Swieten zum Doktor der gesamten Heilkunde promoviert worden ist; berühmt ist seine Dissertation De planetarum influxu, strittig ist, wie weit Mesmer in ihr auf einen Text des britischen Arztes Mead zurückgreift. Seine Ehe mit der reichen Witwe Anna von Posch setzte ihn in den Besitz des Hälfteanteiles des Palais auf der Landstraße sowie des Schlößchen Rothmühle. Wien war auch der Ort, wo Mesmer sein Medizinsystem, das er später als animalen Magnetismus bezeichnet hat, entwickelt hat, wobei der Einfluß des Jesuitenpaters Maximilian Hell diskutiert worden ist, zumal dies zu einem Prioritätsstreit der beiden geführt hat. P. Hell, bei dem Mesmer seine ersten Magneten anfertigen hat lassen, war der erste Direktor der Universitätssternwarte Wien, die ebenfalls 2006 ein Jubiläum gefeiert hat, nämlich das 250. Jahr ihres Bestehens. Ebenfalls in Diskussion steht die traditionelle Angabe, daß im Gartentheater des Palais Mesmer das Singspiel Bastien und Bastienne des damals zwölfjährigen Wolfgang Amadeus Mozart uraufgeführt worden sei. Mesmers Auseinandersetzung mit dem Exorzisten Pater Gassner und seine daraufhin erfolgende Ernennung zum Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften waren der nächste Eckpunkt in seinem Leben. Nach der Therapie der blinden Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis ― der ein eigenes Referat gewidmet war ― hat Mesmer Wien verlassen und ist nach Paris übersiedelt. Seine Pariser Jahre mit den beiden Kommissionsberichten sind weniger ausführlich zur Darstellung gekommen, da ja der Schwerpunkt auf Mesmers Wien-Bezug gelegen ist. Mesmer hat später noch zweimal Wien besucht, u. a. zu der Verlassenschaftsabwicklung nach dem Tod seiner Frau, wobei er im Zuge der Wiener Jakobinerverschwörung kurz verhaftet und anschließend in seine Heimat, die Bodenseegegend, abgeschoben worden ist. In Meersburg ist er dann 1815 verstorben.
Die Referentin, Leiterin des Stadtarchivs Schwechat, hat die Geschichte des Schlößchens Rothmühle dargestellt, wobei freilich die Zeit im Besitz der Familie Eulenschenk (der Eltern von Anna v. Posch) bzw. der Familie v. Posch und später Mesmer nur eine relativ kurze Episode in der langen Geschichte dieses Bauwerks gewesen ist. Das Symposium hat in dem mit prächtigen, kürzlich restaurierten Fresken geschmückten Festsaal stattgefunden, somit sozusagen im seinerzeitigen Wohnzimmer der Familie Mesmer. Erwähnenswert ist, daß auch Leopold Mozart, den eine langjährige Freundschaft mit der Familie Mesmer verbunden hat, gemeinsam mit Wolfgang Amadeus „den Mesmerischen einen Besuch auf der „Rothmühl’ abgestattet hat. Diese historischen Ausführungen hat die Referentin mit einer Schloßführung kombiniert, wobei auch in der Schloßkapelle die prächtigen Fresken zu sehen waren.
Dieser Beitrag hat sich mit dem Einfluß Mesmers auf die unmittelbar folgende Zeit, d. h. die Psychologie der Romantik, auseinandergesetzt, wobei der Arzt und Dichter Justinus Kerner im Mittelpunkt gestanden ist, der bekanntlich selbst auch den animalen Magnetismus als Therapie eingesetzt hat. Kerners Beobachtungen an der eine Zeit lang in seinem Hause aufgenommenen Sensitiven Friederike Haufe ― bekannt geworden als die „Seherin von Prevorst ― führen zu der Frage der „Veränderten Bewußtseinszustände, deren Studium auf die Brüder Puységur zurückgeht, also auf unmittelbare Schüler Mesmers in Paris. Der Referent hat auch den weiteren Impakt der Lehren Mesmers in der deutschen Romantik dargestellt, wobei Namen wie Ennemoser, Eschenmayer, Autenrieth und insbesondere der überaus bedeutende Gotthilf Heinrich v. Schubert eine wichtige Rolle gespielt haben. Sehr deutlich ist der Übergang von einem Medizinsystem zu einem System der romantischen Naturphilosophie dargestellt worden.
In der Diskussion zu diesem Referat ist auch die Tradition der Mesmerschen Therapie im Wiener Raum bis fast in die unmittelbare Gegenwart angesprochen worden.
Gleichsam einen Wendepunkt im Leben Mesmers hat seine Kur der blinden Pianistin und Komponistin Maria Theresia Paradis bedeutet, welche in diesem Referat ausführlich dargestellt worden ist. Die teilweise recht detaillierten zeitgenössischen Berichte sind bereits 1961/62 von Hofrat Ullrich im Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien mustergültig aufgearbeitet worden, wobei jedoch diese Quelle wenig Beachtung gefunden hat und mittlerweile ganz in Vergessenheit geraten sein dürfte. Die Paradis, um die sich viele Mythen ranken, hat, im frühen Kindesalter erblindet, als Teenager ein wahres Martyrium verschiedenster ― allesamt fruchtloser ― Therapien über sich ergehen lassen müssen, bevor sie von den medizinischen Autoritäten der Zeit als unheilbar klassifiziert worden ist. Daher war sie für Mesmer eine überaus interessante und vielversprechende Patientin, konnte er doch erwarten, an ihr sozusagen als Paradefall die Wirksamkeit seiner animal-magnetischen Therapie demonstrieren zu können. Im Detail werden die Fortschritte der Therapie dokumentiert: von der Beruhigung ihrer ständig zuckenden und nach oben verdrehten Augäpfel über ihre enorme Lichtempfindlichkeit, sobald die Augen in eine normale Lage zurückgekehrt waren, über ihre Probleme mit dem Verständnis perspektivischer Eindrücke bis zu der Tatsache, daß sie ihrer früheren Sicherheit als „Blinde sowohl in der Bewegung im Raum wie insbesondere beim Klavierspielen verlustig gegangen ist. Daraus resultierten die bekannten, höchst dramatischen Folgen, daß Vater Paradis mit gezogenem Degen bei Mesmer eingedrungen ist und die Rückkehr seiner Tochter aus Mesmer als Klinik in das Elternhaus gefordert hat, ein Auftritt, der dadurch noch eine Steigerung erfahren hat, daß die Mutter handgreiflich geworden ist, indem sie ihre bemitleidenswerte Tochter mit dem Kopf gegen die Wand geschleudert hat. Es wird vermutet, daß es ökonomische Überlegungen des geldgierigen Vaters waren, welche die Ursache zu diesem Szene gegeben haben: der Entfall der kaiserlichen Gnadenpension für die Blinde im Falle der Wiederherstellung ihrer Sehkraft wurde ebenso befürchtet, wie die Tatsache, daß eine sehende Pianistin wohl weniger eine Attraktion für das Publikum wäre als eine blinde. Jedenfalls ist das bedauerliche Geschöpf anschließend wieder in ihre frühere Blindheit zurück gefallen. Eine tiefenpsychologische Interpretation liegt nahe: angesichts solcher Eltern gleichsam die Augen zu schließen, um die Realität nicht mehr anschauen zu müssen. Der zeitweilige Erfolg von Mesmers Kur hat diesen in einen Gegensatz zur Wiener medizinischen Fakultät gebracht, deren Therapieversuche ja vergeblich gewesen waren. Als besonders erbitterter Gegner tritt hier der sonst so überaus verdienstvolle Jan Ingenhousz auf. Der Referent hat auch eine Reihe von Beurteilungen aus ärztlicher Sicht späterer Generationen Revue passieren lassen, die zu teilweise durchaus unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ob das Grundleiden organisch gewesen sei oder psychosomatisch bedingt war. Auch über die Frage des (temporären) Heilerfolgs Mesmers sind die ärztlichen Meinungen, die zeitgenössischen wie auch die späteren, durchaus geteilt. Festzuhalten ist, daß sogar ein Autor wie Peattie, der Mesmer im allgemeinen sehr negativ beurteilt, hierzu dem Resultat kommt, daß das Sehvermögen der Paradis für eine gewisse Zeit zumindest teilweise wiederhergestellt worden sei. Diese Beurteilung von Peattie ist bisher in der deutschsprachigen Literatur noch nicht rezipiert worden. Einige Monate später hat Mesmer Wien verlassen, in der Hoffnung, in Paris seiner Lehre eher zum Durchbruch verhelfen zu können, wobei der Kanzler, Fürst Kaunitz, Mesmer noch mit einem Empfehlungsschreiben an den österreichischen Gesandten in Paris ausgestattet hat. Der häufig zu findenden Darstellung, Mesmer hätte Wien gedemütigt verlassen müssen, muß somit nachdrücklich entgegengetreten werden.
Der nächste Beitrag ― mit Musikbeispielen ― war dem Thema „Mesmer und Mozart gewidmet. Es ist bereits auf das Gartentheater im Palais Mesmer und die dort erfolgte (neuerdings in Frage gestellte) Uraufführung von Bastien und Bastienne hingewiesen worden. Das ist nicht der einzige Hinweis auf Mesmers Kunst- und insbesondere Musikverständnis. Mesmer war auch mit dem Komponisten Gluck befreundet, der in seinem Palais ein- und ausging. Leopold Mozart war mit der Familie Mesmer eng befreundet, d. h., nicht nur mit dem Arzt Franz Anton Mesmer, sondern auch mit dessen in Wien lebenden Verwandten. Mesmers Lieblingsinstrument war die Glasharmonika, eine Erfindung von Benjamin Franklin, der übrigens im Jahr 2006 seinen 300. Geburtstag hatte. Die Glasharmonika spielt in Mesmer Leben eine zentrale Rolle: als er seinen Wohnsitz nach Paris verlegte, hat er die Glasharmonika mitgenommen, während er seine Frau in Wien zurückgelassen hat. Den Berichten seiner Zeitgenossen zufolge hat Mesmer dieses Instrument meisterhaft gespielt, zumeist phantasierend, und zum Teil auch später in Paris im Rahmen seiner Therapien eingesetzt. Leopold Mozart berichtet in einem Brief an seine Frau über Mesmers Instrument und führt dabei aus: „der Wolferl hat auch schon darauf gespielt. Ach, wenn wir nur eine hätten! Bekanntlich hat Mozart auch Kompositionen für Glasharmonika geschrieben, wobei Chris und Gerald Schönfeldinger mehrere Stücke auf der Glasharmonika zur musikalischen Umrundung gespielt haben.
Ein besonders wichtiges, geradezu zentrales Referat war das über die Wirkungsgeschichte Franz Anton Mesmers, stellt doch eben diese Wirkung auf die Mit- und insbesondere Nachwelt die Rechtfertigung dafür dar, sich mit einer historischen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Dabei war es weniger Mesmers Medizinsystem, das so bedeutend gewirkt hat, sondern eher die damit einhergehenden Effekte, die man damals als „Somnambulismus bezeichnet hat und die wir heute als „Veränderte Bewußtseinszustände begreifen. Im „Somnambulismus ― die zentrale Gestalt ist hier der Marquis de Puységur ― wurden Phänomene wie „Clairvoyance und „Sinnestransposition beschrieben, deren Studium unter dem Sammelbegriff „Außersinnliche Erfahrung heute einen der Forschungsgegenstände der Parapsychologie darstellt. Zu der direkten Entwicklungslinie, die vom „Somnambulismus zu den „Veränderten Bewußtseinszuständen (Altered States of Consciousness, nach Charles Tart) führt, ist anzumerken, daß diese Zustände einerseits einen Forschungsgegenstand sui generis darstellen und andererseits als eine Vorbedingung für das Auftreten von paranormalen Phänomenen relevant sind. ― Es war der schottische Arzt James Braid, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenen Zuständen, die von den Magnetiseuren im Gefolge Mesmers hervorgerufen wurden und in denen oft bemerkenswerte Effekte (z. B. Analgesie im magnetischen Schlaf zur Amputation von Gliedern) aufgetreten sind, ein neues theoretisches Konzept unterlegt hat. Für Braid gab es kein Mesmerisches Fluidum, welches vom Magnetiseur auf den Patienten übergeht, sondern er spricht vom Zustand den er schließlich als „Hypnose bezeichnet und den er mittels der „Faszinationsmethode mit deutlicher zusätzlicher Suggestion hervorruft. In der Generation nach Braid liegt der Fokus des Interesses wieder in Frankreich, wo sich zwei konkurrierende Schulen herausgebildet haben: die von Jean Martin Charcot an der Salpêtrière in Paris und die von Liébault und Bernheim in Paris. Ein junger Wiener Arzt fährt mit einem Reisestipendium nach Paris, um Charcots Forschungen zu Hysterie und Hypnose aus erster Hand kennen zu lernen. Er ist von den Gelehrten so eingenommen, daß er seinen ältesten Sohn ihm zu Ehren den Namen Martin gibt, und übersetzt Charcots Werk ins Deutsche. Dennoch studiert er, vorurteilslos und unkonventionell, wie er nun einmal war, später ebenfalls den Hypnotismus der Schule von Nancy und übersetzt auch Bernheims Buch über die Suggestion ins Deutsche. Der Name dieses jungen Wiener Arztes war Sigmund Freud. Bekanntlich ist Freud in seinen Forschungen zum unbewußten Seelenleben, die ihn später zur Entwicklung der Psychoanalyse geführt haben, zunächst von der Hypnose ausgegangen, bevor er den Traum als die „via regia zum Unbewußten identifiziert hat. Weiters sei auch an seine gemeinsam mit Josef Breuer verfaßten Studien zur Hysterie erinnert, die ein Echo von Charcots zentralem Forschungsinteresse darstellen, woran auch das bekannte, im Freud-Museum in Wien hängende Bild erinnert. Wenn somit die Hypnose für Freud das erste Werkzeug für einen Zugang zum Unbewußten gewesen ist und die Hypnose ihrerseits Braids Forschungen über den Somnambulismus der Mesmeristen entsprang, ist somit eine zwar mittelbare, aber deutlich ins Auge springende wirkungsgeschichtliche Beziehung von Mesmer zu Freud gegeben, die man etwas plakativ in die Worte fassen kann: „ohne Mesmer kein Freud. ― Der Referent hat weiters ein Übersichtsbild der verschiedenen aus der Psychoanalyse hervorgegangenen tiefenpsychologischen bzw. psychotherapeutische Schulen gegeben, wobei der Lokalbezug zu Alfred Adler und Viktor E. Frankl betont worden ist. Mit dem „abtrünnigen Freud-Schüler Wilhelm Reich kann ein Bezug zur Körpertherapie aufgezeigt werden, wobei sich die Frage ergibt, ob nicht im animalen Magnetismus physische Vorgänge passieren, die bisher wenig beachtet worden sind, sodaß Mesmers Fluidalhypothese möglicherweise einmal im Gewand dessen, was man derzeit in den USA als „subtle energies bezeichnet und erforscht, fröhliche Urständ feiern würde. ― Ein Hinweis auf Mesmer als „Urahn sowohl der Musik- wie auch der Gruppentherapie hat dieses Referat beschlossen.
In der letzten Veranstaltung des Symposiums kamen wiederum Chris und Gerald Schönfeldinger, das Wiener Glasharmonika-Duo, zu Wort, wobei der Gegenstand ihrer Ausführungen Mesmers Lieblingsinstrument, die Glasharmonika, war ― die Konstruktion und die Geschichte des von Benjamin Franklin erfundenen Instruments und wichtige Werke der Musikliteratur, die speziell für die Glasharmonika geschrieben worden sind. Eine musikalische Umrahmung durch die beiden Glasinstrumente-Virtuosen hat das Symposium abgeschlossen.