Parapsychologischer Kommentar von Peter MULACZ

     
Parapsychologischer Kommentar

zu MARY ROSE BARRINGTONs Text

ALLES BLOSS IN DER VORSTELLUNG ?

von Peter MULACZ


 

Hier seien noch einige spezifisch parapsychologische Gesichtspunkte eingebracht, die den Rahmen meines Kurzberichts wohl gesprengt hätten, in welchem immerhin schon auf den Schichtenbau mehrerer Ebenen und auf die konstruktivistischen Aspekte hingewiesen worden ist.              

1.   Zunächst in bunter Folge ein paar Überlegungen auf der einzelwissenschaftlichen Ebene der Parapsychologie:             

Die Medialität ist janusköpfig, doppelgesichtig (Punkt 7):
diese Feststellung wird hier aus den Erfahrungen deriviert, die aus qualitativer oder quantitativer  Forschung an speziell begabten Probanden (Sensitiven bzw. Medien) gewonnen worden sind.  Sie deckt sich mit den Schlußfolgerungen, die J. B. RHINE aus seinen toto genere anders strukturierten Experimenten zieht, nämlich, psi sei eine zweiästige Basalfunktion, die einen extra-sensorischen (ESP) und einen quasi-motorischen (PK) Ast besitzt. Wo PK auftritt, ist gesetzmäßig auch immer ESP involviert; daß umgekehrt auch das Auftreten von ESP mit PK verknüpft sei, bleibt freilich (von der speziellen Problemstellung der k-Telepathie abgesehen) ein theoretisches Postulat.          

Der "Blick in die Vergangenheit" (Punkte 8 bzw. 1):
JUNG und seine Begleiterin wie auch die Familie BARTON haben jeweils Szenen aus der Vergangenheit wie mit den Augen der damals lebenden Personen, GALLA PLACIDIA bzw. John EVELYN, gesehen. OSSOWIECKI hingegen hat eindeutig nicht mit GELEYs Augen gesehen (allenfalls hat er ihm sozusagen über die Schulter geblickt[1]).          
Sind das phänomenologisch verschiedene Formen von Erfahrung oder bloße Modifikationen ein- und desselben Vorgangs?               
Halten wir zunächst fest, daß sich OSSOWIECKI selbst und willkürlich in diesen Zustand versetzt – er projiziert, "beamt" sich sozusagen selbst in die Vergangenheit, wie die Zeitreisenden in der SF-Literatur, während es sich im Falle von JUNG und den BARTON um spontane Phänomene gehandelt hat, es ist ihnen widerfahren, es ist ihnen passiert (unbewußt ausgelöst durch die lange und intensive Beschäftigung mit dem Thema). Daß es sich in OSSOWIECKIs Fall um eine weit kürzer zurückliegende Vergangenheit handelt als in den beiden anderen Fällen, ändert nichts am Grundsätzlichen.
Sind wir aber, bei aller emotionaler Resonanz und Identifikation mit den Gestalten der Vergangenheit (GALLA PLACIDIA bzw. John EVELYN), berechtigt,  davon zu sprechen, daß die Menschen, denen dieses Erlebnis widerfahren ist, jene Szenen quasi mit deren Augen gesehen hätten? Würde es nicht genügen, zu sagen, daß es ihnen widerfahren sei, durch die bekannten Umstände als Beobachter, als Außenstehende in vergangene Situation "gebeamt" worden zu sein, um diese Metapher nochmals aufzugreifen?    
Mit dieser Betrachtungsweise wäre zumindest eine Vereinheitlichung der verschiedenen Erlebnisweisen erzielt JUNG und seine Begleiterin wie auch die Familie BARTON hätten dann auch bloß ein Videoband des Lebens vor sich ablaufen gesehen.          

Übrigens sei festgehalten, daß es auch in den Fällen JUNG und BARTON zur Gestaltung einer "Privatrealität" (cf. Punkt 5) kam, die insofern in die alltägliche Realität eingebettet war, als sie diese nicht völlig verdrängte (was z.B. dann der Fall gewesen wäre, wenn JUNG seine Begleiterin in römischer Gewandung oder Mrs. BARTON ihren Mann in der Tracht des 17. Jhdts. erblickt hätte).           

     
2.   Was nun weiters die Meta-Ebene der weltanschaulichen Konsequenzen betrifft, will ich kurze Annotationen zu zwei Aspekten machen:
zum telepathischen Netzwerk und zu den multiplen Persönlichkeiten.    

Das Bestehen eines eigenständigen Phänomens "Telepathie" wird in der experimentellen Parapsychologie der Gegenwart – z.B. in der Ganzfeld-Forschung – in Frage gestellt (Resultate in der Hellseh-Situation unterscheiden sich nicht von denen in der "Telepathie"-Situation, sodaß der telepathische Agent zu recht OCCAM's razor zum Opfer fällt), und Rudolf TISCHNER hat schon vor Jahrzehnten gezeigt, wie schwierig (wenn nicht unmöglich) ein konzeptionell und methodisch befriedigender Nachweis von "reiner Telepathie" wäre. Hingegen bietet das vergleichende Studium von Spontanfällen Gründe dafür, den Telepathiebegriff weiterhin aufrechtzuerhalten, und das ist auch der (leider nicht ausgesprochene) konzeptionelle Hintergrund im Aufsatz der Autorin.           

Interessant ist nun, daß sich diese Ideen von weltumspannender Telepathie, von einem telepathischen Netzwerk, das alle Individuen umfaßt, ja – wie es die Autorin so originell darstellt – von einem telepathischen Internet mit Ideen aus einem ganz anderen Bereich, nämlich, dem Konzept von Super-Psi berühren bzw. überschneiden, das – freilich ein bloßes Konstrukt, eine Extrapolation der empirischen Daten ad infinitum – in der Survival-Diskussion eine Rolle spielt.               

Das Konzept eines überindividuellen Seelischen spielt in der vom Neovitalismus (BERGSON, MAETERLINCK, insbesondere DRIESCH) stark beeinflußten deutschsprachigen Parapsychologie des ersten Drittels unseres Jahrhunderts eine gewisse Rolle und schlägt sich auch terminologisch (BECHER) deutlich nieder.                 
Es ist nun ein überaus origineller Gedanke, dieses überindividuelle Seelische mit Beobachtungen an Fällen von multipler Persönlichkeit zu verknüpfen, wobei der historische Fall von Miss BEAUCHAMP (2) keineswegs vereinzelt dasteht, sondern von vielen modernen Gegenstücken ergänzt wird (3). Als schöngeistige Persönlichkeit, die Cello und mehrere andere Instrumente spielt, hat die Autorin die liebliche Metapher eines Chores gewählt, in dem wir alle mitsingen (müssen) und den wir durch unser Mitsingen als Chor konstituieren, und sie spricht folgerichtig dort von Chorleitung, wo einem auch minder freundliche Metaphern in den Sinn kommen könnten, wie Chefetage oder Kommandozentrale.                
Jedenfalls ist es eine Überlegung wert, wie weit unsere üblicherweise sonst nicht hinterfragte Überzeugung von unserer Existenz als Individuen, von unserer Einmaligkeit und Einzigartigkeit, überhaupt zu recht besteht. (Ähnliche Überlegungen gelten bekanntlich für das Problem der Willensfreiheit. Das führt auch dazu, Begriffe wie Menschenwürde allenfalls neu zu überdenken.)            

Daß eine Integration von (vormaligen, scheinbaren) Individuen – analog zur Reïntegration der Teilpersönlichkeiten im Fall BEAUCHAMP – von einer erneuten Dissoziation gefolgt würde, erinnert im kosmischen Maßstab, in welchem die Autorin ihre Vision entwirft, an die aus der östlichen Philosophie bekannten Bilder vom Ein- und Ausatmen des BRAHMA.       

           

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1)   Hier sei daran erinnert, daß TENHAEFF das Hellsehen (genauer gesagt:  das räumliche Hellsehen, denn "Hellsehen" ist für ihn ein Oberbegriff über räumliches und zeitliches Hellsehen) als "die Erweiterung unserer Anwesenheit, unserer Gegenwart, im Raum" interpretiert. In diesem Sinne war OSSOWIECKI "anwesend", "gegenwärtig", als GELEY die Stelle aus dem Buch abschrieb.

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2)   Übrigens ein Pseudonym, mit welchem Morton PRINCE die Identität seiner Patientin zu verschleiern versucht hat.

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3)   Hier sei auf das Werk von Stephen BRAUDE, First Person Plural, hingewiesen.

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© Peter MULACZ
              

 




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