WENN JA,
IN WESSEN VORSTELLUNG
?(Mit einem Appendix: Kommentar von Peter MULACZ)
Als ich diesen Vortrag vor einigen Jahren in London hielt, habe ich ein bißchen anspruchsvoll den Titel "A Small Theory of Everything" d.h. "Eine kleine Theorie von Allem" gebraucht. Das hat die Möglichkeit oder sogar die Wahrscheinlichkeit zur Folge, sich die Vorwürfe "das ist nicht alles" (nein, aber fast alles) und "dies ist keine Theorie" einzuhandeln wo sind die Beweise? Was sind die Methoden zur Überprüfung?
Derartige Fragen stellt man freilich nur dann, wenn es sich um wissenschaftliche Theorien handelt, aber niemand würde Plato oder Kant oder Berkeley auf diese Weise befragen; also, in dieser Hinsicht befinde ich mich in guter Gesellschaft, wenn ich unbewiesene Vorstellungen darstelle, bloß weil sie mit den beobachten Tatsachen gut übereinstimmen.
Weiters definiert mein Wörterbuch Theorie ganz bescheiden als "eine Erklärung, die man für wahr hält, die aber noch nicht geprüft ist". Das scheint mir gar nicht so anspruchsvoll. Und jetzt, nach dieser vielfältigen Entschuldigung, fange ich endlich an.
Wir müssen mit einer kurzen Rundschau über die wesentlichen Tatsachen beginnen, auf denen das Theoretisieren beruht. Der von mir ausgewählte Stoff besteht ausschließlich aus deutlichen Wirkungen offensichtliche, sofortig erkennbare Effekte. Die statistischen Beweise der experimentellen Parapsychologie bedeuten eine starke Untermauerung zugunsten der Realität des Paranormalen, und darüber bin ich froh, aber die greifbaren Manifestationen beinhalten für mich mehr Informationen.
Zuerst will ich von den außerordentlichen Fähigkeiten von Stefan Ossowiecki sprechen, hauptsächlich Hellsehen und Psychometrie. Die unter Mitwirkung von Gustave Geley und Charles Richet in Paris während der Zwanzigerjahre ausgeführten Versuche sind besonders aufschlußreich.
Bei vielen dieser Experimente war beabsichtigt, Telepathie auszuschließen, um das Gebiet einzuengen und dadurch die Interpretation zu präzisieren. In diesen Sitzungen pflegte der Versuchsleiter (Geley, oder wer auch immer) Herrn Ossowiecki einen versiegelten Umschlag oder ein Paket mit dem Zielobjekt einem Schreiben, einer Zeichnung oder (gelegentlich) einem Gegenstand , aushändigen, blindlings gewählt aus verschiedenen Behältern, so daß die Identität jedes Zielobjekts niemandem bekannt sein konnte. Immer wieder konnte Ossowiecki den Inhalt zu 90% richtig beschreiben. Aber auch die 10% Fehlschläge waren öfters äußerst informativ.
Ossowiecki war nicht einfach ein Mann mit Röntgenaugen. Er sah nicht bloß den Zielinhalt, sondern tat er noch mehr, was weit bemerkenswerter war. Er pflegte lebhafte Beschreibungen der Person, die das Zielobjekt zur Verfügung gestellt hatte, gewöhnlich ein ihm total Unbekannter, von sich zu geben. Diese Beschreibungen fingen oftmals mit dem Ort und den Umständen an, wo das Zielobjekt vorbereitet worden war. Von diesem Fixpunkt aus ging er in verschiedene Richtungen, auf Ereignisse aus dem Leben des Gebers oder sogar von dessen Bekannten verweisend.
Eine seiner nachher bestätigten Aussagen betraf eine dünne, musikalische Dame. Ihre Beziehung zu dem Zielobjekt lag darin, daß sie einmal einige photographische Platten gehandhabt hatte, die früher in dem Kasten lagen, welcher später als Behälter für das Zielobjekt gebraucht wurde.
Man versteht gewöhnlich Telepathie als die Fähigkeit, daß ein Sensitiver Informationen aus dem Leben anderer Menschen erhält. Trotzdem zeigte Ossowiecki bei all seinen triumphalen Erfolgen in der Hellseh-Situation beim Auffinden verlorener Gegenstände und bei der Beschreibung von Personen eine überraschende Unfähigkeit, die Gedanken von Menschen wahrzunehmen, sogar von solchen Personen, die anwesend waren, die ihm sympathisch waren, und von denen er Zielobjekte wie Schrift oder Zeichnung gleich hat erfassen können.
Eines Tages ging Ossowiecki mit Geley, dem Direktor des IMI, auf eine Angelpartie eine Mischung von Freizeit und Arbeit, denn Geley hatte ein versiegeltes Paket mitgebracht. Die Umstände waren recht informell: Geley kannte den Inhalt und war schließlich selbst anwesend; dieser Inhalt bestand aus zwei Fischschuppen. Ossowiecki zeigte seine gewöhnlichen Gewandtheit im Hellsehen: er beschrieb zwei rundliche, flache, biegsame Gegenstände ähnlich Glimmerblättchen, aber weder konnte er in Geleys Gedanken lesen, noch von seinen murmelnden Lippen, seinem Atmen, seinem Gesichtsausdruck, seinem Herzklopfen oder was Sie wollen nicht einmal von den toten Fischen selbst von gar nichts konnte er entnehmen, daß es sich bei den Gegenständen um Fischschuppen handelte.
In ähnlicher Weise war Ossowieckis erste Äußerung ganz richtig, als Geley bei einem Versuch einen Satz mit unsichtbare Tinte schrieb, nämlich, daß er nichts sehen könne, daß nichts Sichtbares da sei. Dann "sah" er Geley vor seinem geistigen Auge, als er ein Buch vom Bücherregal nahm und er beschrieb das Buch, die Größe, die Farbe , er "sah" Geley einen Satz aus dem Buch abschreiben, und er beobachte die Bewegungen der Feder. Es war, als ob ein Klavierspieler auf einer stummen Tastatur spielte, und es gelang ihm nicht, die Bewegungen genau in Worte zu übertragen. Jedoch konnte er den Satzbau beschreiben, und er konnte auch die Worte "Es ist eine Frage von " entnehmen. Wiederum war Geley dabei anwesend, aber Ossowiecki konnte Geleys Gedanken nicht lesen.
Wenn er kein Gedankenleser war, woher hatte er dann seine Kenntnisse über das Leben von fremden Menschen, und wie konnte er Vorgänge wahrnehmen, für die es weder im Zielgegenstand selbst noch bei den anwesenden Personen irgendwelche Anhaltspunkte gab? Seine eigenen Erklärungen, wie er dabei vorging, mögen etwas Licht in die Sache bringen. Er erzählt uns, daß er sich selbst in der Vergangenheit vorstellte, zu jenem Zeitpunkt an Ort und Stelle, wo das Zielobjekt die Zeichnung oder die Schrift oder der Gegenstand vorbereitet wurde. Er fühlt, er sei dort anwesend und sieht, was vorgeht, er beobachtet die Personen, die an der Handlung teilnahmen.
Was lernen wir aus diesen Forschungen? Ich ziehe daraus folgende Schlüsse:
Punkt 1. Die Fähigkeit von Ossowiecki, Luzidität in Form eines Mechanismus zu demonstrieren, welcher einem auf Rücklauf gestellten "Videoband des Lebens" ähnlich ist, so daß Vorgänge und Umgebungen gesehen werden können, als ob er als Beobachter anwesend wäre.
Bei Telepathieversuchen scheint üblicherweise der Perzipient die aktive Rolle zu spielen, unabhängig vom Sender oder Agent. Im Fall des Hellsehens ist der Perzipient überhaupt allein, ohne Sender. In Fällen spontaner Telepathie scheint vielmehr der Sender der Initiator zu sein. Das muß unstreitig in jenen seltenen Fällen so sein, bei denen zwei oder mehrere Perzipienten vorhanden sind.
Ich erwähne kurz einen Sterbebettfall, der aus dem Jahr der Gründung der Society for Psychical Research, 1882, berichtet wird. Es handelte sich um die Familie Birkbeck, eine sehr hochgeachtete Familie ein Londoner College ist nach einem Birkbeck benannt. Auf ihrem Sterbebett in Cockermouth, Nordengland, 300 km von London entfernt, sagte Mrs. Birkbeck den Anwesenden, daß sie zu sterben bereit wäre, wenn sie nur bloß einmal noch ihre Kinder in London sehen könnte. Dann schloß sie die Augen und schien das Bewußtsein zu verlieren. Aber 10 Minuten später schlug sie ihre Augen wieder auf und sagte, daß sie bei ihren Kindern gewesen und nunmehr zufrieden sei. Dann starb sie ruhig.
Bei ihrer Rückkehr nach London erfuhren ihre Begleiter, daß die drei Kinder mit äußerster Erregung behaupteten, ihre Mutter habe sie in jener Nacht besucht und mit ihnen gesprochen. Man kann leicht verstehen, wie unwahrscheinlich es ist, daß die drei Perzipienten die Anwesenheit ihrer Mutter bloß halluzinieren würden und nicht in ihrem tatsächlichen Zustand, auf dem Sterbebett, sondern so, wie sie gesehen werden wollte. Der Impuls dafür muß seinen Ursprung sicherlich von der Agentin genommen haben. Somit folgt der zweite Satz:
Punkt 2. Bei einem kraftvollen telepathischen Reiz kann die vom Agenten zum Perzipienten übertragene Information die Form einer Halluzination annehmen.
Wenn wir bei der Telepathie bleiben, so ist es besonders problematisch, diese Fähigkeit experimentell beweisen zu wollen, da es beinahe unmöglich ist, Hellsehen und ähnliche Fähigkeiten auszuschließen. Deshalb finden wir die eindeutigsten Beweise nicht in der Experimentalsituation, sondern in Spontanfällen oder in Form traditioneller Medialität. Dabei bemerken wir häufig, daß der angebliche Agent entweder tot ist oder gerade im Sterben liegt. Man braucht nur an die Mitteilungen von Leonore Piper zu denken, oder an die keineswegs hochgelehrte Mrs. Willett denken, deren klassische Puzzles scheinbar von dem verstorbenen Professor Henry Verrall stammten. Von diesem üppigen Baum pflücke ich die folgende Frucht, die wohl außer Streit steht:
Punkt 3. Manche der überzeugendsten Beweise für Telepathie beruhen auf Aussagen, die angeblich von Verstorbenen herrühren.
Ob sie nun ein Medium war, eine multiple Persönlichkeit oder einfach eine Automatistin, einer der seltsamsten Beiträge zur psychischen Forschung wurde von Mrs. Pearl Curran geliefert, welche mit der Planchette gearbeitet hat. Ihre Großtat war es, Dichtung und Romanliteratur von hoher Qualität zu produzieren. Diese waren offenbar weit jenseits ihrer eigener literarischen Fähigkeiten, und außerdem zeigte sie unerklärliche Kenntnisse der alten Geschichte. Sie hatte die Schule mit dem 14ten Lebensjahr verlassen; als Schülerin war sie nur durchschnittlich gewesen und hatte, soweit die Forscher, unter ihnen Walter Franklin Prince, recherchieren konnten, kein großes Interesse an Geschichte und Literatur gezeigt. Sie war es jedoch, deren Hand den Bleistift hielt.
Die Intelligenz, die hinter dem Bleistift steckte, behauptete, daß sie Patience Worth sei, ein englisches Mädchen des siebzehnten Jahrhunderts, das in die Vereinigten Staaten übersiedeln sollte. Weitere Einzelheiten wollte sie nicht angeben; sie wollte nur schreiben, und das hat sie getan hunderte Seiten von Romanen, sehr verwickelt, kein Wort verbessert, kein Rückblick, kein Zögern, ganz als ob sie ein kleines Tonbandgerät im Ohr hätte. Für Pearl Curran gab es bloß die Anstrengung, den Bleistift zu halten und manchmal plauderte sie auch dabei.
Auch eine Menge Gedichte wurden geschrieben, manchmal spontan auf ein gegebenes Thema; die Dichtung war witzig, bedeutungsvoll, rührend, und zumeist, wie Prince, ein Literaturprofessor behauptet, erstklassig. Glaubt man an die Tatsächlichkeit der Existenz von Patience Worth? Sehr zweifelhaft. Ich kann jedoch meinen vierten Satz sicher daraus ziehen:
Punkt 4. Im Zustand eines dissoziierten Bewußtseins bzw. in Veränderten Bewußtseinszuständen überhaupt kann man anscheinend eine komplizierte Geschichte ausspinnen, ohne zu wissen, was man tut.
Jetzt verlagere ich meine Aufmerksamkeit von dem gemütlichen Bereich der "mentalen" Phänomene zu den grotesken Behauptungen bezüglich "physikalischer" Phänomene. Keine Anspruch konnte so unvorstellbar sein wie die Berichte von Dr. W. J. Crawford, einem irischen Maschineningenieur, in seinen drei kurz nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichen Bücher über den Goligher-Kreis. Die Mitglieder der Familie Goligher, überzeugte Spiritualisten, gaben ihre Sitzungen nur für Crawford, allerdings glücklicherweise nicht für ihn allein: auch einigen unabhängigen Beobachtern war die Anwesenheit erlaubt. So besitzen wir detaillierte Berichte von Prof. Sir William Barrett und, später, von dem erfahrenen Forscher Whately Carrington.
Beide bestätigten unabhängig voneinander, daß im Dachstübchen dieser Handwerkerfamilie in Belfast unter vielem anderen folgendes stattfand: bei akzeptabler Beleuchtung konnte sich ein Tisch ganz ohne menschliche Hilfe nicht einmal eine Hand lag darauf hoch erheben, in der Luft bleiben, sich an die Decke klammen, so daß niemand ihn herunterziehen vermochte; danach sich umkehren und am Boden fest haften; später sogar Barrett, der ihn bestiegen hatte, abwerfen, während dessen Frau, eine hochangesehene Ärztin und Krankenhausverwalterin, dies beobachtete. Und, was den Bericht erstaunlich macht, all dies erfolgte genau auf Crawfords Befehl.
Ebenso gehorsam gegenüber Crawfords Wünschen (oder sogar gegenüber seinen unausgesprochenen Theorien) war das sogenannte Ektoplasma, das anscheinend Kathleen Golighers Körper entströmte. In Abhängigkeit von Crawfords Anforderungen zeigte sich das Plasma in verschiedenen Formen: als runde Knöpfe zum Händeschütteln der Sitzungsteilnehmer oder als riesige Hebeln, geeignet zum Tischheben. Einmal hatte Crawford ein Mikrophon aufgestellt, um eine Aufnahme zu machen. Das Plasma zeigte sich entgegenkommend, während der Minute Aufnahmezeit formte es sich zu große Strukturen, um heftig auf den Boden zu stampfen, und zu zarten, um auf dem Tisch zu klopfen.
Eine Wahnvorstellung, mögen Sie wohl denken. Aber diese "Phantasie" wurde nicht nur durch Zeugen, sondern auch durch instrumentelle Aufzeichnung unterstützt.
Während der Sitzungen befand sich die 16 Jahre alte Kathleen Goligher häufig auf einer großen Waage. Wenn der Tisch sich erhob, fand sich dessen Gewicht zu dem ihrigen hinzugefügt; wenn jedoch das Plasma sich mit einen Pseudopodium auf dem Boden abstützte, so entlastete das Kathleen. Alles war konsequent. Seine hunderten von Experimenten bildeten eine Welt, die einem Maschineningenieur ganz vernünftig vorkam.
Daß Crawford sich von den Golighers hätte täuschen lassen können, scheint mir schlicht unmöglich; die Mitglieder dieser einfachen Familie hätten es gar nicht verstanden, mit den Meßgeräten folgerichtigen Effekte zu erzielen. Sie konnten keineswegs durch bloßes Raten überzeugende Meßwerte zusammenbringen, die mit der Höhe des Tisches, seinem Abstand vom Medium und dem Gewicht auf der Waage konsistent waren. Die Golighers haben Crawford nicht täuschen können, und ich sehe nicht, wie Crawford erfahrene unabhängige Beobachter hätte täuschen können.
Also, in der Dachstube der Familie Goligher, und manchmal auch in Crawfords eigenen Räumlichkeiten, sind wir so weit wie möglich von der uns bekannten Realität entfernt, weil in jener Umgebung außerordentliche Vorfälle nicht bloß sporadisch vorkamen, sondern regelmäßig auftraten. Es war la Boutique Fantasque ähnlich, wo die Spielzeuge und Puppen lebendig werden, eine persönliche Traumwelt, die jedoch stabil genug war, gelegentlich dem prüfenden Blick eines Fremden standzuhalten.
Wenn wir schon im Gebiet der Halluzination sind, so handelt es jedoch um Halluzinationen, die sich manchmal der "realen Welt" aufprägten, denn am Ende der Sitzungen blieben doch die Modifikationen bestehen Einprägungen (unwirkliche Einprägungen aus der Welt der Phantasie) in der Lehmschale (einer wirklicher Schale mit wirklichem Lehm), hervorgerufen durch das Plasma (unwirkliches Plasma) diese Einprägungen blieben nach der Sitzung als Tatsachen in unserer realen Welt.
Punkt 6 ist die "private Realität" von Crawford und dem Goligher-Kreis, eine Traumwelt, die gelegentlich mit der realen Umgebung eine Interaktion eingehen konnte.
Es gibt noch andere Wechselwirkungen zwischen der realen Welt und einer Phantasiewelt. Ich verweise auf die Hypnose. Für mich ist der locus classicus der Fall von Dr. Albert Mason, der Ichthyosis erythmatosis, eine angeborene Krankheit, durch Hypnose geheilt hat. Diese Heilung wurde in der medizinischen Fachpresse berichtet, allerdings ist der Bericht heutzutage wenig bekannt; es was für die Wissenschaftler zu erschütternd. Ichthyosis ist eine furchtbare Hautkrankheit, manchmal wird sie als Krokodilhaut bezeichnet, und wie sie aussieht, können Sie sich demnach vorstellen.
Mason übernahm die Pflege eines Jungen, von dem er glaubte, daß er mit tausenden Warzen bedeckt sei, da er dachte, daß er einen an Warzen leidenden Patienten durch Hypnose heilen könne. Es gelang ihm so auch, zuerst die Arme und dann die Beine des Jungen von den Warzen zu befreien, und auf diesen Hautpartien erwies sich der Heilerfolg als permanent.
Nach dieser Heilung der Haut der Gliedmaßen, aber noch bevor er versuchte, den Rücken des Jungen rein zu bekommen, teilte ein Kollege Mason mit, daß es sich nicht um Warzen handle, sondern um eine unheilbare genetische Krankheit, und daß somit die Hypnosebehandlung keinen Erfolg gehabt haben sollte.
Mason sagte später, er habe irgendwie gefühlt, Unrecht getan, eine Art Sakrileg gegenüber der Wissenschaft begangen zu haben. Über die Natur der Krankheit aufgeklärt, hatte Mason jetzt wirklich keinen Erfolg mehr mit seiner Hypnosetherapie; alle seine Bestrebungen waren fortan vergeblich. Die Wissenschaft hatte ihren Stab mißbilligend geschwungen und damit seine Zaubermacht zerstört.
Punkt 6. Ontologisch müssen wir zwei Systeme in Betracht ziehen: (1) die medizinische Wissenschaft, wo die Kausalitätsmechanik von Ursache und Wirkung besteht und Anwendung findet, und (2) die Kunst von Geistheilern, von Warzenzauberern, von Hypnotiseuren und anderen Praktikern des Unbekannten, wo das Kausalprinzip belanglos bleibt und durch Willkür ersetzt ist. Insbesondere stellen wir dabei fest, daß diese "Magie" manchmal in das Kausalsystem eingreift.
Halten wir noch das Überschneiden gewisser Aspekte fest. Daniel D. Home, berühmt für seine physikalische Medialität, gab im Verlauf der Sitzungen, die Prof. Wm Crookes mit ihm hielt, Mitteilungen von angeblichen Geistern durch. Rudi Schneider mußte in seinen Sitzungen seine Persönlichkeit verändern und zu "Olga" werden, bevor die Phänomene begannen. Ossowiecki, der große Hellseher, hat in seiner Jugend gewichtige Statuen durch Gedankenkraft bewegt. In Paris mußte Geley Franek Kluski bitten, das automatisches Schreiben nicht auszuüben, andernfalls er seine Materialisationskräfte abschwächen würde; umgekehrt mußte Eileen Garrett auf physikalische Phänomene verzichten, um ihre telepathische Begabung nicht zu verderben. Ohne weitere Fälle zu zitieren, läßt sich daraus folgendes ableiten:
Punkt 7. Medialität ist janusköpfig, doppelgesichtig, ähnlich wie Elektrizität und Magnetismus; die beiden Aspekte lassen sich zwar unterscheiden, aber praktisch kommen sie miteinander vergesellschaftet vor.
Vorwärts zu noch seltsameren Bereichen. Ein der merkwürdigsten Berichte, der mir von einer Bekannte erzählt worden ist, handelt von einer "falschen" Umgebung. Vor einigen Jahre entschloß ich mich, den Bericht bei einer SPR Konferenz zusammenzufassen; als ich mich darauf festgelegt hatte und verzweifelt in der Literatur nach ähnlichen Berichten suchte, stieß ich zufällig auf eine Erfahrung von C. G. Jung, die er in seiner Autobiographie erzählt. Obwohl das eine Erlebnis im Freien und das andere in einem Raum stattfand, sind dennoch auffallende Parallele zwischen beiden zu ziehen.
In beiden Fällen verbrachten ein Mann und eine Frau viel Zeit in Gedanken an ein Grab (d.h., einen Sarkophag) und den Lebensweg der darin bestatteten Personen. In beiden Fällen fanden sie sich unmittelbar danach an einem Ort, der nicht der Wirklichkeit oder sagen wir: der nicht der gewöhnlichen Wirklichkeit, wie wir sie kennen entsprach.
Halten wir fest, daß ein Grab sehr praktisch ist, um eine Örtlichkeit festzulegen, da man nur ein Grab besitzt. Daher haben wir guten Grund, zu glauben daß die Beteiligten wirklich an den Orten waren, von denen sie es behaupteten. In Jungs Fall waren er und seine Freundin (wahrscheinlich Toni Wolff) beim Mausoleum der römischen Kaiserin Galla Placidia gewesen, während meine Bekannten, die Barton heißen, sich fast eine Stunde lang in Wooton Church aufgehalten haben, wo sie das Grab von John Evelyn, einem Chronisten aus dem 17. Jahrhundert, besuchten und zahlreiche weitere Grabmalinschriften besichtigten.
Unmittelbar danach gingen Jung und seine Freundin in das angrenzende Baptisterium und besichtigten dort vier herrliche Mosaiken; sie bewunderten diese Bilder zwanzig Minuten lang, betrachteten sie gründlich und diskutierten darüber.
Jedes Bild zeigte eine auf Wasser bezogene biblische Szene die Taufe im Jordan, und so weiter. Jung und seine Freundin waren besonders von dem einem Bild angetan, das Jesus zeigte, der den Kopf des Petrus über die Wellen hielt. Jung versuchte, photographische Aufnahmen davon zu erhalten, aber man sagte ihm, daß es nichts derartiges gäbe. Der Grund dafür, daß die gewünschten Bilder nicht erhältlich waren, lag, wie er später feststellte, darin, daß die zahlreichen Mosaiken in der Taufkapelle ganz andere sind als Jungs Bilder, welche weder dort noch irgendwo anders zu finden sind.
Sie mögen jedoch einmal existiert haben. Jung berichtet folgendes: während einen Seefahrt nach Italien wurde Galla Placidia Opfer eines Schiffbruchs, wobei sie beinahe ertrank. Nachdem sie gerettet wurde und heil angekommen ist, stiftete sie in Ravenna eine Basilika zum Dank für ihre Errettung aus dem Meer. Das originale Gebäude existiert nicht mehr, aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich in dieser Basilika Mosaiken befanden, welche das Meer, Wellen und Wasser zum Leitmotiv hatten. Jung erzählt uns, daß er selbst auch einmal mit knapper Not dem Ertrinken entronnen ist.
Die Erfahrung, die Jung und Galla Placidia gemein ist, bezieht sich auf das Beinahe-Ertrinken; wie wäre es, wenn die mehrfachen Resonanzen ihn geleitet hätten, sich eine "Privatwirklichkeit" zu schaffen, worin er wie mit Galla Placidias Augen jene Mosaikbilder sah, die ihr besonders wertvoll und vertraut waren?
Wäre "seine" Wirklichkeit vollkommen privat gewesen, fühlten wir uns dazu minder berechtigt, uns darauf zu verlassen; glücklicherweise waren seine Ideen stark genug, daß seine Gefährtin die eingebildete Szene mit ihm teilte, und später konnte man sie fast nicht dazu bringen, zu akzeptieren, daß der hellblau gekleidete Petrus sich nicht dort auf der Wand des Baptisteriums befand.
Dasselbe fühlten meine Freunde, als sie merkten, daß die Landschaft, in der sie gewandert waren, keine Ähnlichkeit mit der echten Landschaft in diesem Ort hatte. Um eine lange Geschichte kurz zu machen, schlußendlich fand ich Sätze in Evelyns Tagebüchern, die mit dieser "falschen" Umgebung korrespondierten; auch habe ich eine entsprechende Landschaft in der Nähe von Evelyns Wohnung aber von der Kirche etwas entfernt gefunden.
Genau wie in Jungs Fall scheint es, als ob die beiden Personen eine nicht vorhandene Landschaft durch Evelyns Augen gesehen hätten, und für mich gehören diese beiden Fälle zu ein- und derselben Kategorie. So schwer verdaulich sie auch sein mögen, so werfe ich diese interessante Stücke dennoch in meinen Topf. Also
Punkt 8 stellt fest, daß die Vergangenheit noch in der Gegenwart vorhanden ist und sich gelegentlich erreichen läßt; ferner und kühner , daß psychische Inhalte von Menschen der Vergangenheit in den psychischen Apparat von Menschen im Hier und Jetzt eindringen können, sofern starke Resonanz zwischen ihnen vorhanden ist.
Dieser Prozeß wirkt genau so, wie wenn ein Mensch der Vergangenheit einen hypnotischen Befehl gegeben hätte, worauf der Empfänger mit einer halluzinierte Umgebung geantwortet hätte. Wir haben hier in Prinzip dasselbe Phänomen wie beim Fall Birkbeck, wo die Senderin (gerade noch) am Leben war. Diese Betrachtungen führen zu folgendem weiteren Schluß, einer wichtigen Zutat der Suppe, eigentlich das, was man das Fleisch darin nennen könnte, obwohl ich lieber von Protein spreche:
Punkt 9. Unter einem entsprechend kräftigen Einfluß können Menschen eine "Privatumgebung" aufbauen (halluzinieren), die für sie ebenso real ist, wie die gewöhnliche Umgebung, die sie mit allen anderen Leuten teilen und als wirklich anerkennen; manchmal können auch andere Personen an dieser Realität partizipieren. Diese flüchtige Umgebung besteht aus demselben Material wie die permanente, wie ein Eisstückchen im Wasser.
Wir gehen nun vom Großen zum Kleinen über. Die englische Abkürzung "Jott" steht für J-O-T-T = "Just One of Those Things". Das sagt man vor allem dann häufig, wenn ein kleiner, merkwürdiger, unerklärter Vorfall geschieht; der Vorfall ist zu unwichtig, viel Zeit darauf zu verschwenden, eine Erklärung zu suchen; außerdem kann man sich nicht vorstellen, wo und wie eine Erklärung zu finden wäre. Man zuckt die Achseln, sagt "das ist einer von diesen gewissen Fällen", und damit ist der Vorfall vergessen, ausgelöscht, aus dem Gedächtnis gestrichen.
Genau genommen ist Jott eine Diskontinuität, das heißt, eine Unterbrechung in der Wirklichkeitsstruktur, oder wenn man dies vorzieht, eine Unterbrechung in der historischen Abfolge bzw. im Naturgesetz; am häufigsten tritt es als Ortsveränderung auf, indem ein Gegenstand von einem Platz zu einem anderen verschleppt wird, oder verschwindet, oder indem etwas von Weiss-nicht-woher plötzlich ankommt.
Wer hätte keine Jott-Erfahrung gemacht? Der Schlüsselbund, der auf diesen Tisch gelegt wurde plötzlich ist er nicht mehr da, wenn man gerade dorthin schaut, wo er eigentlich sein sollte. Man sucht anderswo, und einige Minuten später blickt man wieder auf dem Tisch, und, obwohl man allein zu Hause ist, liegen die Schlüssel jetzt dort, wo sie sollten. Oder man findet die Schlüssel später im Kekskasten. Oder man sieht die Schlüssel nie wieder oder vielleicht nur solange, bis sie ersetzt werden. Wie auch immer, man tadelt sich als ein nachlässiger Beobachter.
Das stimmt sicherlich auch oft; gelegentlich aber nicht: dann ist man eher, meiner Theorie zufolge, ein nachlässiger Abbilder, ein nachlässiger Halluzinierender, oder, anders gesagt, ein nachlässiger Wirklichkeitsgestalter.
In manchen Fällen ist man absichtlich nachlässig, weil es unter gewissen Umständen nützlich sein kann, die Schlüssel nicht zu finden. Ich bin aber vom Folgenden überzeugt: wenn man die Schlüssel besonders sorgfältig auf den Tisch legt, und sich ihre Koordinaten genau merkt, in der Weise, wie man sich eine Sache ins Gedächtnis einprägt, dann könnten die Schlüssel nicht auf Jottreise gehen.
So tut man es aber zumeist nicht. Man legt sie hier hin oder dort hin, ohne darauf zu achten, was man tut, mit seinen Gedanken anderswo. Der hingeworfene Gegenstand läßt sich jetzt nicht nur aus der Aufmerksamkeit, sondern auch aus dem Gewebe der Wirklichkeit herausfallen.
Wo denn stecken die Schlüssel, während sie weder sichtbar noch tastbar sind? Ich glaube, sie bleiben freilich im Dasein als potentielle Objekte, ebenso, wie ein Luftballon in der Form eines Elefanten auch dann ein potentieller Elefantenluftballon bleibt, wenn er nicht aufgeblasen ist und nur als gestaltlose Gummihaut vorliegt; wenn jemand dann eine Elefantenform sucht, so findet er sie nicht, weil die Elefantengestalt als solche zeitweilig nicht besteht.
Punkt 10 ist natürlich, daß die Strafe für nachlässige Wirklichkeitsgestaltung die häufige Begegnung mit Jott-Erlebnissen sein muß.
Es gibt viel Schlimmeres, als seine Schlüssel zu verlieren, oder die Brille, oder die Füllfeder, was immer man hastig einsteckt. Man kann sich selbst verlieren. Dieses Schicksal hat Morton Princes Patientin, Miss Christine Beauchamp, getroffen. Wie sich die meisten von Ihnen zweifellos erinnern werden, hat diese unglückselige junge Frau als Siebzehnjährige einen Schock erlitten, und danach hat sie für die nächsten zehn Jahre eigentlich nicht existiert. Ihr Platz, oder ein Teil davon, ihr Körper, wurden von einem anderen Mädchen eingenommen, einem netten, höflichen, aber etwas farblosen Mädchen, das Prince in seiner Eigenschaft als Psychiater konsultierte. Sie sollte angeblich an sogenannter Neurasthenie leiden; Prince hat aber ihren Zustand als MPD konstatiert als multiple Persönlichkeit. Heute hat man den Ausdruck MPD (Multiple Personality Disorder) zugunsten MPS (Multiple Personality Syndroma) modifiziert.
Prince hat sie oft hypnotisiert, und während ihrer Trancen haben sich mehrere alternative Persönlichkeiten vorgestellt, von denen sich zwei vom Trancezustand befreiten und schließlich in Christines Leben vorherrschend wurden.
Die Persönlichkeit, die Prince eher trocken als B4 bezeichnete, war alles das, was Christine nicht war roh, zäh, grob, schlecht gelaunt, und sie wird von der Teilpersönlichkeit B3 als "eine furchtbare Person" beschrieben. B3, die sich selbst "Sally" nannte, war auch eine furchtbare Person, aber auf andere Weise. Sie war ihrer Veranlagung nach der Typ einer jugendliche Verbrecherin, fesch, keck, unterhaltsam und Christine gegenüber erbarmungslos.
Sally und B4 besaßen auch jeweils ihre eigene Individualgeschichte und eigene Erinnerungen, die Christine jedoch unbekannt waren. Irgendwann besonders dann, wenn Christine sich auf eine festliche Gelegenheit wie Weihnachten oder ihren Geburtstag freute pflegten Sally oder B4 Christines Bewußtsein zu übernehmen, wobei während dieser Perioden Christines eigenes Leben sozusagen stillstand. Sie hatte weder irgendwelche Erlebnisse, noch hatte sie Träume, und daher auch keine Erinnerungen; schließlich, nach Stunden, Tagen oder sogar Wochen, kam sie wieder zu Bewußtsein und merkte, daß sie wiederum ein Stück ihres Lebens verloren hatte.
Prince war schließlich bestrebt, seiner Patientin zu einer einigermaßen stabilen Persönlichkeit zu verhelfen, und zwar zu einer, die auf die echte, ursprüngliche Miss Beauchamp einen berechtigten Anspruch erheben konnte, indem sie sich, anders als alle anderen Bewerberinnen, an die ersten siebzehn Jahre ihres Leben erinnerte.
Als die "echte Besitzerin" "zurück" war und bereit, Leib, Geist und Seele von Miss Beauchamp wieder zu übernehmen, zog sich Sally, welche Prince früher gesagt hatte, sie würde nie wieder ihr unabhängige Dasein aufgeben, widerstrebend dorthin zurück, woher sie gekommen war, irgendwo tief in Miss Beauchamps Unbewußtes. Prince zögerte auch nicht damit, B4 als eine autonome Teilpersönlichkeit zu vernichten; schließlich hatte er sie während Christines hypnotischer Trancezustände hervorgerufen.
Aber wie stand es mit Christine? Sie war seine Patientin. Jetzt hatte er sie als erfundene Persönlichkeit identifiziert, ebenso wie B4 bloß erdichtet, ein Bruchstück der echten Person, die jetzt zusammengesetzt wurde und bereit war, ihr gesamtes Bewußtsein zu besetzen, einschließlich der Erinnerungen von Christine und B4. Damit erlosch Christines Recht auf Identität und Selbstbestimmung. Morton Prince zögerte zunächst noch, aber schließlich beendete er die Existenz von Sally, B4 und seiner Patientin Christine zugunsten der neuen, integrierten Gesamtpersönlichkeit.
Was fühlen wir angesichts diese bestürzende Geschichte? Ich beginne, mich zu fragen, ob ich eine reale Person bin. Mit drei verschiedenen Gestalten wären diese drei Frauen sicher als vollkommen real und normal erschienen. Ich kann mir die Drei miteinander in einem Restaurant vorstellen, B4 beschwert sich beim Ober, Sally stellt eine Sachertorte auf einen leeren Sessel, Christine schaut gerade anderswo hin drei unterschiedliche Gäste. Niemand hätte gesagt "diese Mädchen sind keine vollständige Menschen sie sind unecht".
Zugegebenermaßen hatte Christine Episoden, in denen sie gewisse Zeitspannen "verloren" hat, aber sie hatte keine Ahnung davon, daß sie bloß eine Nebenpersönlichkeit war, und wenn etwa wir bloß Bruchstücke von einem größeren, aber gespaltenen oder multiplen Bewußtsein wären, wären wir uns dessen auch nicht bewußt, obwohl wir unseren psychischen Apparat mit Anderen teilen müßten.
Ich frage mich, was ist aus Sally geworden, als sie dorthin zurückging, woher sie gekommen war? Würde sie jetzt, als die integrierte Persönlichkeit Miss Beauchamp die Oberhand gewonnen hatte, ihre Rolle als Beobachterin wieder aufnehmen dürfen? Oder würde Sally tatsächlich "sterben"? Immerhin, sollte Miss Beauchamp sich wieder dissoziieren in der Tat hatte sie später mehrmals Krisen dann könnte Sally vermutlich auch wieder zum Leben auferweckt werden. Das heißt, Sally verfiel in einen tiefen Schlaf, aber nicht in den endgültigen Schlaf. Solange Miss Beauchamp lebte, blieb auch Sally am Leben. Somit biete ich meinen nächste Punkt als geistige Nahrung an:
Punkt 11. Angenommen, eines Tages hört die wiederhergestellte Miss Beauchamp, als sie gerade ruhig und bequem irgendwo sitzt, Sallys Lieblingslied. Wäre es nicht möglich, daß die schlafende Sally sich dann rühren könnte und ihre eigenen Vorstellungsbilder in Miss Beauchamps Gedankenwelt projizieren würde? Daß sie sogar einen Versuch machen würde, wieder an die Oberfläche zu kommen?
Nehmen wir eine neue große Frage in Angriff. Wie merkwürdig die Phänomene und ihre Interpretationen bis jetzt auch immer sein mögen, nichts kann sonderbarer sein als das Konzept der noch ausständigen Zukunft. Viele Leute finden die Präkognition vernunftwidrig und auch sonst widerwärtig. Nichtsdestoweniger kann man kräftige Beweise für ihre Existenz liefern. Reisen wir durch ein Block-Universum, in dem alles unverrückbar fix ist? Oder liegt die Zukunft in einem noch nicht bestimmten Entwurf? Sehen wir nur das, was am wahrscheinlichsten ist? Sogar wenn es die Zeit erlaubte, könnte ich diese Fragen nicht beantworten. Aber eines kann ich mit Fug und Recht behaupten:
Punkt 12. Offensichtlich können Menschen gelegentlich einen flüchtigen Blick auf zukünftige Ereignisse erhaschen, und sogar manchmal ein Geschehen vermeiden.
Mein letzter Punkt könnte als gar nicht paranormal erscheinen. Es handelt sich um die weitverbreitete Meinung, daß es zu viele Koinzidenzen gibt. Im allgemeinen bleibt so eine Behauptung unbeweisbar. In einem Fall jedoch haben wir wohlbegründete Synchronizitäten: ich verweise auf die Korrelationen der Astrologie freilich nicht die Fabeln, die in den Zeitungen stehen, sondern die Forschungen professioneller Statistiker, François und Michelle Gauquelin, die widerwillig zu Zeugen für die Wahrheit wurden.
Sie haben bedeutsame Beziehungen zwischen dem Planeten Mars und den Geburtsdaten von Leistungssportlern, dem Saturn und Wissenschaftlern, dem Jupiter und Schauspielern gefunden, Daten, die mit der traditionellen Astrologie nur mäßig in Einklang stehen.
Tatsachen sind Tatsachen, aber ich muß die Frage stellen, ob jemand ernsthaft glauben könnte, daß die Geburtskonstellation dieser Planeten am Himmel die betreffenden Menschen hätte veranlassen können, die betreffenden Berufe zu ergreifen? Wir müssen dabei bedenken, daß diese Konstellationen von Jahres- und Tageszeit unabhängig sind. Verwirrt müssen wir als unseren letzten Punkt eintragen:
Punkt 13. Es gibt Korrelationen, die jenseits des Zufallsbereichs liegen und die nicht kausal erscheinen.
Damit kommen wir zum zweiten Teil, der glücklicherweise kürzer ist als der erste. Jetzt sind die Zutaten schon zusammengerührt und werden nun gleich zum Kochen gebracht. Die entstehende Speise ist eben meine Kleine Theorie an sich, wobei den Kern meiner Argumentation die Telepathie darstellt.
Ich betrachte die Telepathie als einen natürlichen Zustand; ohne es selbst zu bemerken, üben wir sie ständig aus; ich erkenne eine Art telepathisches Internet des Unbewußten (eigentlich das, was Myers das Überbewußte nannte), worin unsere Psyche stetig in Beziehung mit anderen steht, ein großer Weltchor, der einen andauernden und ununterbrochenen Choral singt; man könnte diesen Das Lied von der Erde nennen, weil sein Zweck darin liegt, uns allen unwiderstehliche Belehrungen zu geben; er belehrt uns, wie wir unsere Umgebung aufzubauen und wie wir unsere Wirklichkeit in guten Zustand zu erhalten haben.
Unser Hauptpflicht ist es, diesen telepathischen Signalen zu gehorchen, das heißt, es wird uns befohlen, die physischen Bestandteile der Natur zu beherrschen und daraus unsere Welt ordentlich und regelmäßig zu schaffen und zu erhalten. In der Tat werden wir von der "Chorleitung" dazu hypnotisiert, daß wir miteinander eine konsistente phänomenale Welt geistig erschaffen (halluzinieren); und der Empfang von Instruktionen zur Aufrechterhaltung des Consensus hinsichtlich der Konstruktion unseres Wirklichkeitsmodells ist die Hauptaufgabe unseres telepathisches Netzwerks. Dabei nehmen wir nicht nur die Vorschriften an, sondern wir müssen dann unsere Aufgabe durchführen und diese an die "Chorleitung" sofort zurückmelden.
Wir haben immer mehr Aufgaben durchzuführen. Wir müssen nicht nur sicherstellen, daß die Planeten in ihrer Bahn bleiben, daß Äpfel immer abwärts fallen, daß Gebirge nicht bewegen, sondern heutzutage müssen wir auch darauf achten, daß wenn man in der Erde gräbt oder die Himmel untersucht oder nach dem Quark forscht, die entsprechenden Entdeckungen gemacht werden. Kein Wunder, daß wir weder Zeit noch Gelegenheit für persönliche Mitteilungen haben.
Alles muß mit den akzeptierten Meinungen und Erwartungen übereinstimmen, besonders, wenn wir die Sachen genau anschauen. Obwohl die Chorleitung, wie Berkeleys Gott, alles überwacht, so halte ich es dennoch für möglich, daß ein Baum auf einer menschenleeren Heide etwas ungenau skizziert werden könnte.
Es scheint mir besser, von Quantenmechanik und der Kopenhagener Interpretation nicht zu sprechen (falls jemandem der Blutdruck steigt), aber die Idee, daß die Materie den Forderungen der Beobachter entspreche, ist doch genau das, was ich mir als die Antwort auf die von der Chorleitung initiierte Befehlskette vorstelle; der Welthypnotiseur lehrt uns, was zu gestalten und wie die Materie nach unserem Willen zu lenken sei. Wenn wir den Instruktionen folgen (wobei wir beinahe keine Wahl haben), dann werden die Komponenten unserer Wirklichkeit uns gehorsam sein und uns die Welt geben, die wir als unsere Welt erkennen. Also, wir nehmen stetig Belehrungen an, wir bestätigen, was wir getan haben, wir beschreiben was wir sehen und hören und gelegentlich berichten wir eine Anomalie. Unregelmäßigkeiten bringen uns einen Verweis der Chorleitung ein, die uns scharf befiehlt, diesen Fehler schnell zu korrigieren. Sofort müssen wir die Beobachtung wiederholen, weil wir unter der strengen Vorschriften stehen, Folgerichtigkeit einzuhalten. Deshalb finden wir die verschwundenen Schlüssel, sobald man sie wieder sucht, wieder auf dem Tisch wenn auch öfters links statt rechts , aber auf jedem Fall ungefähr dort, wo sie hingehören, und von wo aus diese Gegenstände durch eigene Nachlässigkeit eine Zeitlang aus dem Dasein gefallen waren.
Soweit ist alles ziemlich einfach. Jetzt aber werden die Begriffe etwas kompliziert:
Ich erlaube mir, die folgende Vermutung anzustellen: ein Mißbrauch der telepathischen Vernetzung äußert sich in zwei Formen. In dem einen Fall unterbricht der Mißbrauchende die Rezeption von Instruktionen der Chorleitung, worauf seine unmittelbare Wirklichkeit "plastisch" wird, biegsam und unzuverlässig; im äußersten Fall könnte man eine Art Irrenhaus wie bei den Golighers antreffen, oder "falsche" Umgebungen wie in Jungs Fall, oder regelwidrige Interaktionen mit der allgemein akzeptierten Realität, wie in Masons Fall der durch Hypnose geheilten Krokodilhaut.
Im anderen Fall unterbricht der Mißbrauchende die Übersendung seiner eigenen Daten, was einen Teil des telepathischen Mechanismus freisetzt und Zugriff auf normalerweise gesperrtes persönliches Material erlaubt.
Aber wie die mentale und die physikalische Medialität zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind, so verursacht eine Unterbrechung der Sendung zu einem gewissen Grad auch eine Unterbrechung des Empfangs, weil diese beiden Tätigkeiten zusammenhängen.
Jedenfalls bemerkt die Chorleitung in unregelmäßig ausgesendeten Signal oder im gänzlichen Mangel von Signalen Zeichen eines Zustands, den sie als pathologisch und unerwünscht ansieht. Für die Chorleitung klingt es wie falsche Töne. Sie rüstet sich und ergreift Maßnahmen zur Abhilfe, und mit der Zeit wird alles wieder "normal" das heißt, daß die Kräfte von Medien, statt immer stärker zu werden, schwinden, daß Wirkungen nachlassen, ja, daß Methoden, die hoffnungsvoll schienen, allmählich versagen und daß selbst der Wille, frühere Versuchsergebnisse zu replizieren, fehlt. Schließlich sind die unzulässigen Ausbrüche repariert, und die Normalität ist wiederhergestellt.
Wir haben gesehen, wie es Medien und Forschern gelingt, eine kurze Zeit hindurch der mächtigen Chorleitung zu entkommen und ihrer eigenen Passage anstatt der Partitur zu folgen; dann sieht man etwa die Wunder von Ossowiecki, Ostys außerordentlich erfolgreiche Experimente, oder die Krisentelepathie, die sogar heutzutage vorkommt. Theoretisch sollte dabei die Umgebung ein bißchen plastisch werden, aber wir haben gesehen, wie die Forscher versucht haben, die mentalen Medien zu zwingen, ihre physikalischen Effekte unter Kontrolle zu halten.
Für jemanden, der eine zufällige Wahrnehmung macht, ist eine bedeutsame Mitteilung so packend, daß er keine Aufmerksamkeit für kleine Anomalien hat. Andere sind schlicht ungeschickt; ihre Mitteilungen laufen schief oder kommen sinnlos an und bringen nichts zustande außer einer gewissen Verwirrung. Dann beginnen Gegenstände, vom Wandbrett herunterzufallen, oder plötzlich liegt etwas auf dem Tisch, was zuvor nicht dort war und was niemand vorher gesehen hat.
Die meisten von uns haben keine paranormale Begabung und empfangen keine sinnvollen Botschaften: wir kennen alle die Erfahrung, irgendwelchen belanglosen Bildern und Ideen, die von irgendwoher zu kommen scheinen, gedanklich zu begegnen. Dann erholen wir uns wieder von dieser verschwommenen geistigen Verfassung, und plötzlich findet sich dann z.B. die verschwunden gewesene Brille, wie mir eine respektable Person berichtet hat, an einem absurden Ort wieder, etwa mitten im Winter auf dem Ast eines Baumes im Garten hängend.
Manchmal handelt es sich um eine Veränderung der Umgebung in großem Maßstab. In den Fünfzigerjahren haben ein Pfarrer und seine Frau ein großes Loch im dem zum Kirchentor führenden Pfad bemerkt, so tief, daß sie den Grund nicht sehen konnten, und so weit, daß sie es umgehen mußten. Während sie in der Kirche ging, holte er einen Baumeister. Aber als die beiden mit Planken zurückkamen, war kein Loch mehr zu sehen. Das bedeutungsschwere, zur Hölle führende Loch war nur ein Webfehler im Gewebe der Wirklichkeit, vielleicht sogar selbst erzeugt, weil man eine Botschaft oder eine Belehrung auch vom eigenen Unbewußten empfangen kann.
In diesem Sinne ist das Paranormale ein Kontinuum mit dem Normalen. Wie ich behaupte, ist in Fällen wie dem genannten die Verbindung zwischen dem Normalen und dem Paranormalen ununterbrochen. Die normale Welt ist die große und kontinuierliche Halluzination, an der wir alle notgedrungen teilnehmen, dazu gezwungen durch die hypnotischen Kräfte der Chorleitung. Aber hier und da, wie winzige Scheinknoten auf der Oberfläche eines Stoffs, finden sich örtliche, flüchtige Aufbauten, die sich gesetzwidrig verkörpern und sich (wenn das Auge abgelenkt ist) wieder auflösen. Als Scheinknoten bezeichne ich sie, weil ihre Fäden nicht wirklich verwoben, nur verwickelt sind.
Wie wir gesehen haben, können Menschen, die, wie in Jungs Fall, tief von einer starken, fremden Persönlichkeit beeinflußt sind, ziemlich lang andauernde und überzeugende alternative Realitäten erfahren. Er hat scheinbar die hypnotischen Anweisungen einer für ihn höchst einflußreiche Person akzeptiert, statt die der Chorleitung. Galla Placidia ist im Vergleich zur Chorleitung ein Groschenstück gegenüber dem Mond, aber wenn sich ein Groschen in nächster Nähe befindet, kann er sich als kräftiger als der Mond erweisen, und Galla Placidia war für Jung eine besondere Person: meine Anima nannte er sie.
Diese Auffassung multipler Realitäten, oder zumindest mehrdeutiger Interpretation der Wirklichkeitsbestandteile, kann durch die bekannten zweideutigen Zeichnungen veranschaulicht werden nicht der einfache Kippwürfel oder die Treppe, bei der Ober- und Untersicht wechseln. Ich denke vielmehr an das Mädchen und die Schwiegermutter. Anfangs sieht man die alte Frau, den Kopf mit einem Schal bedeckt; plötzlich ändert sich das Bild und dann sieht man das Mädchen, und der Schal zeigt sich jetzt als ihr reichlich vorhandenes Haar. Noch ein Beispiel ist Mann und Maus, wo eine Nase mit großen Brillengläsern sich in einen Mausekopf mit großen Ohren wandelt. Worauf es dabei ankommt, ist, daß beide Wirklichkeiten potentiell vorhanden sind, wobei beide aus demselben Material bestehen.
Wenn man den Überfluß an Materie in Betracht zieht, dann sehe ich unzählige Möglichkeiten für alternatives Gestalten, wie man es in physikalischen Sitzung erfährt. Wenn Medialität ein paar Millionen Partikel von einem Mann "ausborgt", um vorübergehend die Form einer Maus zu simulieren, würde dies den Mann nicht weiter stören; allerdings könnte er einen kalten Luftzug bemerken. Das erfahren doch Menschen häufig in Séancen. Auch ist zu bemerken, daß an Kluskis Bekleidung nach Materialisationserscheinungen Abschürfungen gefunden worden sind. Der Stoff wurde auch "ausgeborgt", und geliehene Partikel kommen nicht immer an die richtige Stelle zurück. Crawford berichtet sogar, daß ein Markenzeichen, welches auf der Ferse von Kathleens Strümpfen gedruckt war, sich nach der Sitzung 30 Zentimeter höher oben befunden habe.
Es scheint mir, daß die Elemente der physikalischen Realität in unterschiedlicher Dichte uns reichlich Platz für die alte Frau und die junge Frau, für allerlei Männer und zahllose Mäusefamilien bieten.
Jetzt wird ein neues Bild eingeführt, bei dem man sich ein Paar riesiger Vorhänge vorstellen muß. Zwischen deren beiden vertikalen Rändern ist ein äußerst enger Spalt, durch den ein Lichtstrahl dringt. Etwas Licht ist auch unten sichtbar, wo der untere Rand der Vorhänge etwas gerundet ist, so daß sie in Richtung des Spaltes eine Kurve beschreiben.
Also da haben wir eine normale Kurve, und unter der Kurve strömt das blendende Licht hindurch. Wenn man auf das Licht im Spalt blickt, kann man nicht anders sehen; und man ist dazu gezwungen, dieses Licht im Spalt in den Augen zu behalten, weil die Chorleitung so befiehlt. Durch den Schlitz werden die Instruktionen der Chorleitung gesandt, und durch denselben Schlitz müssen wir ebenso die Empfangsbestätigung sowie unsere Daten zurücksenden. Wenn man die Augen nach links oder rechts bewegen könnte, würde man andere Lichtsignale wahrnehmen, Signale, die grenzenlos in beide Richtungen reichen, immer schwächer werdend, aber niemals gleich Null.
Was soll das Ganze? Die Signale, die durch den Schlitz kommen, entsprechen der momentanen Gegenwart. Jetzt versteht man die Enge des Schlitzes; nichts kann schmäler als der gegenwärtige Augenblick sein. Denn dieser Moment, worin wir unser ganzes Leben führen, hat in einem gewissen Sinne überhaupt keine Dauer; er trennt nur die Vergangenheit von der Zukunft. Es tut etwas, aber er ist nicht eigentlich etwas.
Daraus folgt, daß es wenn unsere telepathischen Vernetzungen Daten verarbeiten, welche uns die Erscheinungsformen unserer Welt an diesem oder jenem Ort beschreiben sich bei dieser Botschaft im wesentlichen um eine Erklärung und Vorschrift darüber handelt, wie ein sanfter Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft zu gestalten sei. Man fragt natürlich, wo endet diese Brücke auf den beiden Seiten der Linie, die wir als Gegenwart erfahren, klebt sie nur die vergangene Sekunde an die nächste Sekunde? Oder eine Stunde an die nächste Stunde? Es liegt auf der Hand, daß jeglicher Grenzziehung willkürlich und damit sinnlos ist.
Die Brücke hat keine Endpunkte. Sie besteht aus dem Licht, das unter dem Vorhang strömt, überwältigend stark in der Mitte, immer schwächer unten und an den beiden Enden. Unter diese Kurve, die uns kräftig die eindeutigen und unwiderstehlichen Daten unserer Erfahrung der Gegenwart liefert, kommen auch, schwach und für uns normalerweise nebelhaft und unzugänglich, sich links und rechts unendlich ausdehnend, alle Daten der Vergangenheit mit, sowie die Entwürfe des Zukünftigen, die Votiv-Basilika der Galla Placidia, die schlanke, musikalische Dame, die einmal photographische Platten handhabte, alle unsere Tage des "Gestern" und einige unserer Tage des "Morgen".
Als Ossowiecki auf einen Spaziergang in die Vergangenheit ging, über Geleys Schulter blickend, weil er sehen wollte, was Geley mit unsichtbare Tinte schrieb, ist er seiner Aufgabe zur Datenübertragung nicht nachgekommen; so konnte er das befreite telepathische Auge von dem blendenden zentralen Schlitz abwenden und es den seitlichen Vorhangrändern entlang bewegen. Man erinnert sich daran, daß Ossowiecki immer ein psychometrisches Objekt in Händen haben wollte; ich nehme an, dieser Gegenstand leitet wie ein Ariadnefaden das telepathische Auge in der Vergangenheit zurück, bis er die gesuchte Szene fand.
Vielleicht funktioniert die ASW üblicherweise in einer Versuchssituation so, d.h., wenn es sich nicht um eine dringende telepathische Botschaft handelt. In einem Krisenfall sendet der Agent hingegen Notsignale von solcher Stärke aus, daß diese ausnahmsweise auf die Chorleitungssendung wirken. Ich stelle mir vor, die Trägerwelle aktueller Daten wird in Bezug auf den geplanten Perzipienten moduliert, so daß die Botschaft sozusagen huckepack mitfährt. Gewöhnlich bleiben solche undeutlichen Signale unbemerkt und erreichen kein Ziel oder ein falsches; gelegentlich jedoch heften sie sich so stark an die Trägerwelle, daß sie ihr Ziel genau treffen, wobei die Daten der Gegenwart verändert erscheinen und die Umgebung als völlig modifiziert wahrgenommen wird, wie im Fall Birkbeck.
Wir wollen uns jetzt wieder Ossowiecki zuwenden, als er über Geleys Schulter auf das mit Geheimtinte beschriebene Blatt blickt. Es kommt darauf an, daß er nicht mit Geleys Augen gesehen hat, sonst hätte er sie auf die von Geley früher abgeschriebenen Passage im Buch fokussiert gefunden. Noch viel weniger gelangte er in Geleys Gedankenwelt, als er sich wegen der glimmerblättchenähnlichen Gegenstände den Kopf zerbrach. Irgendwie ist es ihm gelungen, nicht als Gedankenleser, sondern, wie er selbst sagte, wie ein Zuschauer die Zeit zurückzuschrauben und die Vergangenheit zu besichtigen.
Wenn man die Vergangenheit besichtigen kann, so reden wir von einer aufgezeichneten, fortdauernden Vergangenheit, ein Begriff, der eine lange Geschichte hat; wohlbekannte Beispiele sind der Liber Scriptus des Dies Irae und die Akasha-Chronik der Theosophen.
Die Zeitmaschine, das Rückspulen eines Videobandes, das Zurückblättern in einem himmlischen Buch, diese nützlichen Metaphern haben für mich keinen ontologischen Sinn. Außerhalb von Science fiction kann man sich nur auf eine Weise in die Vergangenheit begeben, und das ist mittels eines Gedächtnisses. Ossowiecki ging weder in sein eigenes noch in Geleys Gedächtnis zurück; es folgt daraus: irgendwie gewann er Zugang zum Gedächtnis eines Beobachters, eines Wesens mit einer weiten, vielleicht grenzenlosen Erinnerungsfähigkeit.
Diesen Beobachter sehe ich nicht nur als einen passiven Zuschauer in unserem Drama, sondern auch als einen Teilnehmer; ja noch mehr als einen Teilnehmer, nämlich innerhalb gewisser Grenzen auch als Verursacher. Dem Wesen nach ist er ein Automatist, der eine Hand ausstreckt, den Bleistift hält, und daraufhin eine scheinbar von anderen Autoren geschriebene Geschichte als die eigene akzeptiert. Bis die Schrift fertig ist, weiß der Beobachter nicht, was sie beinhalten wird; und das betone ich zu seiner Entlastung, weil er dafür die endgültige Verantwortlichkeit trägt, weil er den Werkstoff geschaffen hat.
Wir haben Beweise, daß die Story teilweise geplant ist. Wenn ein Schriftsteller eine Handlung entwirft, blickt er voraus; dann aber, wie so oft bei einem Autor, scheinen die Gestalten seines Romans die Leitung zu übernehmen, so daß zum Beispiel ein geplanter Tod nicht stattfindet oder aufgeschoben wird. Hier finden wir die Basis für Präkognition und für Abwendung des vorausgeschauten zukünftigen Geschehens. Eine Warnung führt zu Vorsicht und Rettung, wodurch die Handlung gänzlich geändert wird. Solche Ereignisse sind wohlbekannt.
Was für einen Schriftsteller können wir dafür verantwortlich machen, unsere Realität erdacht zu haben, das Drama, worin wir eine Rolle spielen? Was gewiß ist: unser Weltenschöpfer besitzt großen künstlerischen Sinn; ich denke an traumhafte Landschaften und phantastische Sonnenuntergänge. Wir haben aber auch phantastische Koinzidenzen bemerkt Planeten, die (ohne erkennbaren Sinn) mit Sportlern, Schauspielern und Wissenschaftlern korreliert sind.
Einen Kausalzusammenhang zwischen dem Saturn oben und einem Wissenschaftler unten erwarte ich nicht zu finden; aber ursächliche Verknüpfung ist nicht die einzige Art von Zusammenhang. Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen "Meer" und "Leer", oder "fein" und "Pein", aber ein Dichter könnte diese Wörter bestimmt in Beziehung bringen, und als Künstler könnte er sich ein Vergnügen aus seiner Geschicklichkeit machen, Begriffe und Wörter zusammen zu bringen. Die astrologischen Koinzidenzen könnten dem Entwurf vortrefflicher Verse gleichen.
Also, der Weltschöpfer hat Künstlerauge und -ohren, aber was sonst? Wie weit würden wir ihn als Drehbuchautor schätzen, wenn wir ihn nach unserem Wirklichkeitsroman beurteilen? Leider, so scheint es mir, hat er in kosmischer Dimension ein Drama erzeugt, das wir auf Englisch "video nasty" nennen, eine Art Story, die zu ekelhaft ist, um im Fernsehen ausgestrahlt zu werden. Aber wer könnte verneinen, daß sein Werk meisterhaft geschaffen ist, weil es von Künstler entspringt, der Meister bleibt, sogar wenn er träumt, dissoziiert oder in Trance seine grausige Schöpfung webt.
Er hat uns zwar etwas geschont, indem die telepathischen Vernetzungen unsere Wirklichkeit bewahren müssen; sonst würden wir alle sicher wahnsinnig werden, wenn wir permanent im Hintergrund die Elendsschreie von Menschen und Tieren hören müßten alle in des Schöpfers Drama Hungersnöten, Dürren, Seuchen, Fluten, Hitze, Kälte zum Opfer gefallen, ganz zu schweigen von der Grausamkeit der Menschen (gewiß nach seinem Muster geschaffen). Aber, bevor wir dieses Thema weiter verfolgen, müssen wird uns die Frage stellen: wie verantwortlich ist eigentlich der dissoziierte Automatist, der nicht recht weiß, was er tut?
Irgendwo in seinem Unbewußten beschäftigen sich Untergeordnete, die Geist-Arbeiter, mit dem von ihm zur Verfügung gestellten Material. Ja, wir sind es. Bedeutet das, daß wir an unserer Wirklichkeit schuld sind? Im Grunde, nein; ohne unsere Beihilfe gibt es in unserer Welt Spinnen, die Fliegen bei lebendigem Leib aussaugen, Krokodile, die Zebras unter am Hals Wasser ziehen, usw. Wir haben eine englische Redensart, "man kann keine seidene Handtasche aus einem Schweinsohr machen", wir können nur das Mögliche mit unserer gegebenen Welt tun. Unsere Einflußsphären sind begrenzt.
Untermenschen, die wir doch sind, dürfen wir uns doch nach höherem Sinn und nach einem Wesen gütiger als unser Herrscher sehnen; gewiß kann unser Mitleidsgefühl nicht von ihm herrühren. Es muß von anderswo abstammen. Wir sind zwar seine geistigen Arbeiterameisen, aber wir sind nicht Sklaven. Wir können vielleicht sogar die Natur des harten Meister ein wenig besänftigen, so daß er am Ende besser ist als zu Anfang.
Ferner wagen wir, die kleinen Bruchstücke von Sinn, von Zeit zu Zeit von Unsterblichkeit zu träumen. Sicher haben wir eine Art von Fortdauer, weil, wenn die Vergangenheit andauert, dann dauern eben auch wir fort. Können wir uns aber zurück ins Gedächtnis des Systems bringen, von unseren Akten zurück auf den Bildschirm bringen, unsere eigenen Stimmen wieder hören, ein paar Töne singen, um uns zu versichern, daß wir noch da sind?
Man könnte meinen, daß es zu anspruchsvoll sei, sich Hoffnungen auf ein Fortleben zu machen. Während seiner Behandlung von Christine Beauchamp hat Dr. Prince viele Nebenpersönlichkeiten durch Hypnose hervorgerufen, Wesen, die er als erfundene Spieler bloßer Rollen beurteilt. Diese wurden dann, sozusagen, zurück in den Schmelztiegel geworfen. Wir könnten nur Schmelztiegelmenschen sein.
Aber sogar diese unechten, erfundenen Geschöpfe mußten eine Art von Existenz, und sei es nur als Eigenschaften von Miss Beauchamp, haben. Wenn Miss Beauchamp imstande war, Anspruch auf Unsterblichkeit zu erheben, so bleiben ihre Eigenschaften mit ihr erhalten, so kümmerlich sie auch seien. Unser Anspruch scheint auch winzig, aber die Sache, auf die es ankommt, ist: wie stark ist der Anspruch unseren Meisters, von dem wir die Eigenschaften sind?
Wir haben keine Zeit, weitere Bemerkungen über den Charakter des Schöpfers der Erde zu machen. Ich glaube, es ist dazu genug gesagt, wie er ist; er ist unser Verfasser, der Chordirigent, der Romanautor, in dessen Geist aufzugehen uns beschieden ist, und welcher eines Tages in einem höheren Wesen, uns mit sich nehmend, selbst aufgehen wird; und das höhere Wesen ebenso in einem noch höheren. Wir können uns eine umfassende Gestalt vorstellen, welche vielfältige Unterpersönlichkeiten einschließt, einige dieser Teilpersönlichkeiten mild und harmlos wie Christine, andere, gleich uns, lebhaft und gefährlich wie Sally.
Wir können uns weiters eine Gestalt ausdenken, deren verstreute "Sekundärpersönlichkeiten" sich gezwungen fühlen, wieder in ihrer richtigen Position zu einer Einheit zusammenzufinden, wie sie vielleicht in Urzeiten bestanden hat. Ich sage vielleicht, weil, sobald vereinheitlicht, der Große Geist als das einzige Wesen vorhanden wäre, allein im Kosmos. Das ist sicher unerträglich und undenkbar. Ich ahne, daß dann, wenn alle Bewußtheit gesammelt und vereinigt ist, und wenn die physischen Korrelate alle bewegungslos, zeitlos und raumlos geworden sind, der Große Einzig-Alleine sich sofort wieder dissoziieren wird, die materielle Welt sich auf seinem Befehl wieder differenzieren wird, und ein neues Weltall mit Dramengestalten erdichtet würde, weil es keinen Ruhepunkt gibt und nie geben kann. Der Drang nach Einheit zieht nur neue Auflösung nach sich.
Vermutlich laufen viele Dramen im Kosmos ab, gelegentlich komisch, zumeist aber tragisch, weil die Dissoziation immer Mühe und Mißklang mit sich bringt. Wie wir bei Miss Beauchamp gesehen haben, hat die oberste geistige Instanz in ihrem desintegrierten Zustand am meisten zu leiden und ist am wenigsten imstande, zu handeln. Ich sehe den Höchsten Geist als einen hilflosen Träumer, sich mit unserem Lebenskampf unterhaltend wie wir mit King Lear oder der Matthäus-Passion. Kein Zweifel, wir produzieren dann und wann auch seichte Unterhaltung.
Welt und Weltall, Schöpfer und Geschöpf, Leben und Fortleben, wie und warum alles befriedigend abgehandelt, was bleibt noch zu sagen übrig? Bloß, nochmals die Grundthese zu betonen, nämlich den Primat des Geistes. In der normalen Welt, wo die Materie ihren Regeln folgt, anscheinend, ohne uns zu fragen, scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Die paranormalen Phänomene zeigen, daß in Wirklichkeit die physische Welt durch den Sinn organisiert ist, durch die Kraft des Geistes, obwohl wir fast keine bewußte Kontrolle darüber besitzen. Was für das Paranormale gilt, gilt ebenso für die normale Welt, weil das Paranormale einen Sonderfall des Normalen darstellt. "Mind over matter", der Geist herrscht über die Materie das ist die Grundlage von allem.
Abschließend ich habe einen säuerlichen Blick auf unserer Welt und unserer Rolle im Kosmos geworfen können wir unser Dasein gutheißen? Ich kann verschiedene Rechtfertigungen anbieten. Vielleicht besorgen wir jene giftigen Elemente, die doch in kleinen Quantitäten für die körperliche Gesundheit wesentlich sind. Oder, eine nettere Idee, sind wir das pikante Salz in den ansonst geschmacklosen Gemüsen? Oder, um mit einer freundlichen Note zu enden, vielleicht sind wir die Dissonanzen, die eine ansonsten langweilige Harmonie beunruhigend und interessant macht.
Wie dem auch sei, wir haben unseren Platz in einem Weltall, in dem der Geist über die Materie herrscht, und das tatsächlich bloß in der Vorstellung existiert.
© Mary Rose BARRINGTON & Peter MULACZ
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