Kurzbericht über den Vortrag
von Stephan Procházka
Magie
und Zauberwesen im Islam
Es versteht sich, daß Magie und Zauberei Bestandteile des Volksglaubens sind und in der Hochreligion nicht vorkommen; sehr wohl aber finden sich in den Grundlagen der Magie Elemente aus der Hochreligion, z.B. Zitate aus Suren des Kor'ans. Weiters gibt es im Islam verschiedene Strömungen und Sekten, demgemäß auch unterschiedliche Ausformungen des Volksglaubens und zahlreiche regionale Verschiedenheiten, lokale Traditionen, etc. Jedenfalls handelt es sich dabei nicht um einen historischen Gegenstand, sondern um eine sehr lebendige Tradition, die in den verschiedenen islamischen Ländern voll im Schwange ist.
Der Referent – übrigens seit kurzem habilitiert – hat seine Ausführungen mit dem sehr zentralen Begriff der baraka (= Kraft, Segenskraft) begonnen, die sich der Muslim an verschiedenen Plätzen, z.B. Gräbern islamischer Heiliger, holen kann. (Auch die Heiligenverehrung ist ein Element, das ausschließlich dem Volksglauben angehört; eine Kanonisierung wie im Katholizismus kennt der Islam nicht.)
Baraka hängt mit der Heiligenverehrung und dem Wallfahrtswesen eng zusammen; diese Kraft kann auch auf Gegenstände übergehen, die durch längeren Verbleib an einem entsprechenden Ort gleichsam mit ihr aufgeladen werden und als Vehikel für sie dienen. Daher werden z.B. kleine Stückchen von mit baraka aufgeladenen Grabtüchern von den Wallfahrern abgeschnitten und heim genommen.
Ganz ähnliche Bräuche finden sich übrigens – wie ich in der (wiederum sehr lebhaften) Diskussion erwähnt habe – auch im Volksglauben der orthodoxen Christen, wo eine Kraftübertragung durch Berührung eine große Rolle spielt; festzuhalten ist dabei, daß sich der Islam ja zunächst im Bereich des byzantinischen Reiches ausgebreitet hat, sodaß sich dadurch eine innige Durchdringung der beiden Kulturkreise in dieser Region ergab. Es scheint aber dieses "feinmaterialistische" Modell der Aufladung mit Kraft bzw. der Übertragbarkeit von Kraft einer Grundstruktur des menschlichen Denkens zu entsprechen, die man nicht nur ubiquitär in der Berührungsmagie, sondern auch im neuzeitlichen Denken, z.B. in MESMERs Konzept des animalischen Magnetismus, insbesondere in seinem Baquet, ebenso wiederfinden kann, wie in der heutigen der "subtle energy"-Forschung, und schließlich auch innerhalb der gegenwärtigen Esoterik-Szene in Schlagworten wie "feinstofflich" oder "Orte der Kraft".
Ein wesentliches Element der magischer Vorstellungen im Islam ist Schutz und Abwehr; insbesondere Schutz vor dem "bösen Blick", gegen welchen eine Reihe von Amuletten helfen, naturgemäß Augenamulette, sowie die Farbe Blau. Das hängt wohl damit zusammen, daß das Fremde – in den gegenständlichen Siedlungsräumen sind blaue Augen selten – als bedrohlich, ja feindlich empfunden wird, und man dies nach einem simile-Prinzip am besten mit Gleichem abwehrt.
Ein derartiges Denken in Analogien und Korrespondenzen ist für das magische Denken typisch (die Analogieassoziation ist, worauf TENHAEFF immer hingewiesen hat, die phylogenetisch älteste Assoziationsform); auf Analogie- und Korrespondenzdenken beruht auch die hohe Wertschätzung der Astrologie im Zusammenhang mit magischen Prozeduren.
Weiters versteht sich dem magischen Denken von selbst, daß der Name Gottes (Allah bzw. die "99 schönen Namen Gottes"), ebenso aber auch sein (in Form des Kor'ans durch den Propheten aufgezeichnetes) Wort äußerst mächtige Schutzmittel sind, weshalb gewisse Sprüche, z.B. "masha'allah", oder Teile von Suren, etwa der Eingangsvers "bismillah ar-rahman ar-rahim" (= Im Namen Gottes, des gnädigen Erbarmers)
oder der Thronvers, im Kontext des magischen Gebrauchs vielfach anzutreffen sind. Besonders wirksam ist es, wenn das Wort Gottes in irgendeiner Form inkorporiert wird, z.B. indem Zettel mit koranischen Texten verbrannt werden (––> Rauch) oder indem die Tinte, mit der der betreffende Text geschrieben wurde, aufgelöst und zu sich genommen wird ... ich meine, daß es sich dabei um dieselbe zugrundeliegende Denkstruktur handelt wie bei der Kommunion in der katholischen Kirche. Dieses Inkorporieren ist vor allem bei magischer Heilung anzutreffen, einem – neben Schutz und Abwehr – besonders wichtigen Bereich.
Diese Texte aus dem Kor'an leiten über zu einem weiteren Aspekt der magischen Bräuche: Schutzbriefe und geschriebene Amulette.
Die manchmal auftretenden "Brillenbuchstaben" werden hier als eine Imitation der Keilschrift aufgefaßt, zumal sich im Bereich der magischen Vorstellungen nicht nur Beziehungen zum Judentum, sondern auch zu den Kulturen des alten Mesopotamiens aufzeigen lassen.
Gerade diese vielfältigen kulturhistorischen Verflechtungen einerseits wie auch die Konstanten des magischen Denkens des Menschen (Prävalenz des Analogieprinzips) anderseits machen den besonderen Reiz unseres Themas aus.
Wie immer, war am Schluß die Zeit zur kurz, um alle Fragen zu beantworten; insbesondere war es nicht möglich, das Thema der Zar-Zeremonien wenigstens in der Diskussion kurz anzuschneiden, das der Referent von vornherein aus seiner heutigen Darstellung ausgeschlossen hatte, weil der Zar nicht genuin islamisch ist, sondern, aus Schwarzafrika importiert, erst seit ca. 150 Jahren in Ägypten auftritt. Anderseits ist der Zar mit seinen Trance- und Besessenheitsritualen – wie sie in ganz ähnlicher Form in völlig anderen Kulturkreisen auch auftreten – ein Thema, das vom Standpunkt der Parapsychologie besonderes Interesse heischt. Aber vielleicht werden wir das Vergnügen haben, von unserem Referenten zu einem späteren Zeitpunkt einen Vortrag speziell über das Zar-Ritual hören zu können, insha'allah?
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