Kurzbericht über den Vortrag
von Gerhard Kubik
"Hexerei aus intrakultureller und psychoanalytischer Sicht -
eine Gegenüberstellung "
Der Referent, welcher sowohl Ethnologe wie auch ein voll ausgebildeter Analytiker ist, geht bei seinen Forschungen zur Hexerei in dem betreffenden Gebiet Ostafrikas von einem doppelten Ansatz aus, nämlich einem psychoanalytischen und einem intrakulturellen, also einem, der die Phänomene innerhalb der jeweiligen Kultur selbst zu verstehen sucht, wobei arbeitsteilig dieser letztere Aspekt vielfach von einem einheimischen Mitarbeiter, der jedoch in Wien studiert hatte, wahrgenommen worden ist.Was die Einstellung des Referenten zur Realität der Hexerei ("Realität" in unserem westlichen Sinne) betrifft, so verfolgt er hier eine Linie, die man geradezu mit Orwell als "Doppeldenken" bezeichnen könnte: weder daran zu glauben, noch daran nicht zu glauben. Dieser dialektische Ansatz bringt den weißen Forscher manchmal in eine schwierige Situation, sich zu erklären, wenn ihm von Einheimischen die Frage "glaubst Du eigentlich an Witchcraft"? gestellt wird - die Personen, die diese Frage stellen, sind vielfach von der eigenen Gesellschaft marginaliserte Personen, die durch ihre Randständigkeit in ihrer Gesellschaft verunsichert sind, was bei psychoanalytischer Betrachtungsweise als angstbesetzt erkannt wird: sie suchen mit ihrer Frage eine Rückversicherung.
Das psychoanalytische Theorem sei universell anwendbar, nicht jedoch die Inhalte, die vielfach von einer interkulturell unterschiedlichen Symbolik, oft auch einer rein subjektiven Symbolik, geprägt seien. Der Referent betont, daß im Gegensatz zu Bronislaw Malinowskis Meinung der Ödipuskomplex sehr wohl auch in matrilinearen Gesellschaften vorkommt (das Theorem als solches wäre u. U. sogar bei einem homosexuellen Paar mit Kind anwendbar, denn die zugrundeliegende Konstellation lautet immer: immer 2 Erwachsene und ein [gegengeschlechtliches] Kind).
In den matrilinearen Gesellschaften sind nach dem Tod des Vaters nicht die eigenen Kinder die Erben, sondern die Kinder des Bruders der Mutter, also des Onkels (avunculus). Diese uns schwer nachvollziehbare Situation führt häufig zu Aggressionen, vor allem zu einer erheblichen Neffe-Onkel-Spannung.
Das ist das Umfeld, in dem die Hexerei (Witchcraft ) auftritt. Witchcraft ist ein Phänomen im Bereich der engeren oder weiteren Familie, allenfalls der Dorfgemeinschaft, aber nicht darüber hinausreichend.Einfache Phänomene von Hexerei sind alltäglich zu beobachten, z. B. der Versuch, bei Wahrung des Anscheins äußerlicher Freundlichkeit dem Gesprächspartner auf dessen Schatten zu treten.
Das Springen über einen Mörserkolben (wie auch das Sitzen auf dem Rand des Mörsers) führt im Glauben der Bevölkerung zu Scrotal-Elephantiasis, wobei die inhärente sexuelle Symbolik unübersehbar ist. Die psychoanalytische Interpretation geht freilich noch weiter, insofern, als sie auf die unbewußten Ängste derjenigen fokussiert, die aufgeregt vor diesen unbedachten "gefährlichen" Verhaltensweisen warnen.Auch im Falle spielender Kinder, die sich in Bodenmatten eingerollt haben, wird dieses Phänomen deutlich: von einer entsetzten Erwachsenen wurden sie sofort verwarnt, daß man sich nicht in eine Bodenmatte einrolle (wobei der symbolische Hintergrund dafür im Begräbnisritual liegt, weil Kinderleichen in Bodenmatten eingerollt bestattet werden). Auch hier ist es wieder die Angst, die im Vordergrund steht; im Hintergrund (d.h. im Unbewußten) handelt es sich oft um Entgegengesetzes, und die zur Schau getragene Angst steht vielfach für von der Zensur unterdrückten Todeswünsche, insbesondere bei Familienkonstellation wie oben rund um den avunculus beschriebene.
Angst und Aggression stellen sich als die beiden Hauptpfeiler des psychodynamischen Geschehens dar.Auch eine Reihe von Kinderzeichnungen, die der Referent im Lichtbild vorgeführt hat, stellt sich als psychoanalytisch relevant dar.
Der Heilpraktiker hat eine interessante Rolle in diese Gesellschaft, weil er (zumindest diese konkrete Persönlichkeit, die vom Referenten eingehend studiert worden ist) die Fähigkeit besitzt, wirkliche Hexer von Personen zu unterscheiden, welche unschuldig der Hexerei bezichtigt worden sind. Dabei gibt es zwischen den Hexern und den Nicht-Hexern nicht eine klare Linie, sondern die Verteilung ist eher als ein Gradient zu sehen. Der als Hexer Identifizierte wird durch eine mit einer Rasierklinge erfolgende Skarifikation auf der Stirne kenntlich gemacht. (Übrigens gibt es deutlich mehr Hexer als Hexen.)
Dem Hexer ist zumeist diese seine Eigenschaft selbst gar nicht bekannt, was man geradezu als eine Nachentdeckung oder gar einen "Beweis" des Unbewußten betrachten kann. Die Hexer zeichnen sich gegenüber der Personengruppe der Nicht-Hexer vor allem dadurch aus, daß sie häufig ein gesteigertes Aggressionspotential haben.
In der Diskussion
habe ich die Frage aufgeworfen, wieweit bei den vom Heilpraktiker als Hexen identifizierten Personen Phänomene, die möglicherweise paranormal sind, statistisch häufiger auftreten, als bei jenen, die vom Vorwurf der Hexerei exculpiert worden sind. Überraschenderweise hat der Referent darauf die Aussage getroffen, daß diesbezüglich seiner Erfahrung nach kein signifikanter Unterschied zwischen diesen beiden Personengruppen bestünde.
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