Zusammenfassung des Vortrags von HR Univ.-Prof. Dr. Gerd Kaminski

CHINESISCHE GEISTER UND DÄMONEN

Phänomene öffentlicher und privater Aufmerksamkeit


Der Referent hat opulentes Anschauungsmaterial (zwei Koffer voll !) mitgebracht, um seinen Vortrag zu illustrieren: Götterstatuen, apotropäische Objekte aus verschiedenen Materialien, glückbringende Reispapier-Drucke, Stabpuppen für das Schattentheater, kultische Gegenstände u.v.a.m. 
Hier ein paar Beispiele:

 

 

 


 

Nun zum Vortrag:

Im Rahmen der nicht-physischen Entitäten gibt es in China neben den Göttern auch die Geister und Dämonen; die Geister sind vielfach Totengeister, also die Geister Verstorbener. Vor diesen, wie vor den bösen Dämonen (allerdings gibt es auch gute) gilt es, sich zu schützen.

So soll z.B. nichts aus dem Besitz Verstorbener weitergegeben bzw. verschenkt werden; beim Hausbau ist es wichtig, darauf zu achten, daß das Grundstück geistfrei ist. (Darin mag man eine Parallele zu den britischen, insbesondere schottischen Spukhäusern sehen.) Da die Geister Verstorbener von Lebenden Besitz ergreifen können, gibt es auch ein Exorzismus-Ritual (siehe unten). Die Totengeister sind daran erkennbar, daß sie die Zunge heraushängen lassen, zumeist tragen sie auch hohe Hüte. Ein Geisterseher steht sozusagen zwischen den Geistern und den Menschen. Berichte von Geistererscheinungen sind auch heutzutage häufig; bis Ende den 19. Jhdts. fanden sich in den Zeitungen regelmäßig illustrierte Berichte über Geisterspuk bzw. -erscheinungen. 

Zeitungsillustration Erscheinung von Totengeistern
 

Zeitungsillustration: junger Mann sieht einen Geist im Tempel
 

Der Drache gebietet über das Wasser (d.h., über den Niederschlag, relevant für die Landwirtschaft), ist daher ein sehr positives Symbol und gleichzeitig das Symbol des Kaisers, der dem Himmel und dem Drachen entsprechende Opfer darzubieten hatte. Die Stellung des Kaisers – stellvertretend für die ganze Welt – ist überaus machtvoll; nichtsdestotrotz gibt es gelegentlich, z.B. nach Überschwemmungen, Kritik am Kaiser und seiner Familie.

Meist helfen die Drachen den Menschen, es gibt allerdings auch böse Drachen.

Andere Geister weisen eine große Vielfalt auf: Pflanzengeister, Berggeister, Tiergeister, z.B. Affengeist, wichtig insbesondere Fuchsgeister, Wald- & Wassergeister. Bei den Fischgeistern gibt es Bezüge zu einem berühmten Roman bzw. der Pekingoper. Wichtig sind auch die Hühnergeister: dem Hahn wird eine besondere dämonenabwehrende Eigenschaft zugeschrieben. Wolkengeister treten in verschiedenen Formen auf; Der Heroldsgeist – ein niederer Geist – schreitet einem Geisterzug voran. Es gibt sogar einen Rüpelgeist u.v.a.m. Böse Geister treten oft in Gestalt schöner Frauen auf.

Beispiele diverse Geister:

 

 

 

 

 

 

 


 Gute und böse Geister
 

Um sich der Geister zu erwehren, ist es wichtig, das Haus über einem Drachennest zu haben; dieses findet man mittels des geomantischen Kompasses.

Der Drache hat sich historisch aus einem Amphibium, einem Amalgam von Krokodil, Schlange und Karpfen entwickelt, wobei im Zug der Zeit auch Elemente weiterer Totemtiere der vom Gelben Kaiser unterworfenen Völker dazugekommen sind, z.B. Hirschhörner. Aufgrund des ursprünglichen amphibischen Elements gab es – auch nach der Abschaffung des Kaisertums – auch einen speziellen Kult, falls eine große Dürre aufgetreten ist, damit der Drachenkönig (in Form eines lebenden amphibischen Tieres aus dem nahegelegenen Teich) den ersehnten Regen bringt.

Auch historische Personen können nach ihrem Tod Funktionen als Geister übernehmen. Ein Kaiser hatte zwei Generäle, die stets in seinem Schlafzimmer wachen mußten. Nach deren Tod sind sie zu Türgöttern geworden, gute Geister, die den Eingang des Hauses bewachen. Diese Türwächter werden in Form der sogenannten Neujahrsbilder, die es zu kaufen gibt, beim Eingang affichiert.

Tschung-we, ein Beamter während der Tang-Dynastie, bestand alle Prüfungen mit Auszeichnung; er war jedoch so häßlich, daß ihm der Kaiser die angestrebte Beförderung versagt, worauf sich Tschung-we suizidierte. Der Kaiser bedauerte dies und schenkte ihm (post mortem) einen grünen Mantel, was eine hohe Auszeichnung bedeutete. Jetzt bewacht Tschung-we (ebenfalls als Neujahrbild) den Hintereingang des Hauses.


 

Wie zahlreiche andere Darstellungen gibt es auch den Tiger als Neujahrsbild zu kaufen: der Tiger steht in der Hierarchie der Fauna in China an der Spitze (Löwen, an die wir vielleicht zuerst denken würden, gibt es in China nicht). Er ist ein kräftiges Tier und da die (stilisierte) Zeichnung des Fells auf der Stirne des Tigers dem Schriftzeichen für „Kaiser“ ähnelt, besitzt er besondere Macht. Daher ist es sinnvoll, sich solch einen (auf Reispapier gedruckten) Tiger im Hause aufzuhängen.


(Photo: © M. Litscher)
 

Aber auch Spiegel wirken apotropäisch, was insbesondere am Land weithin in Gebrauch steht.

Weiters gibt es auch lokale Schutzgottheiten, die für die Menschen noch eine zusätzliche Schutzfunktion bieten.


Der Donnergott bekämpft die bösen Geister.


Dämonenvertreibender Gott für den Hausaltar

Geisterabwehrendes Objekt aus Südchina (die geschnitzte und bemalte Rückseite einer Getreideschaufel)
 

In der taoistischen Vorstellung kommt die Seele nach dem Tod zu einer Reihe von Göttern, welche sie bewerten, und zwar zuerst der Hausgott, dann der Erdgott und der Stadtgott, schließlich kommt sie vor das Unterweltsgericht.

Der Sohn des Verstorbenen vollzieht die Opfer für den toten Vater; wenn kein Sohn gibt, lebt die Seele des Verstorbenen nur so lange, als sich jemand noch des Verstorbenen erinnert, nachher geht sie zugrunde.

Unterwelt-Vorstellungen gibt es verschiedene, z.B. bei den Taoisten eine Eishölle, in die die Seelen böser Menschen kommen, aber teilweise auch gute, die dann als Herr dieser Eishölle oder in anderen gehobenen Funktionen eingesetzt werden.


Eishölle (Photo: © M. Litscher)

(Der Aufenthalt in der Unterwelt bzw. Hölle ist nicht ewig; irgendwann kommen die Seelen auch wieder heraus und reinkarnieren sich, böse Menschen jedoch in höchst unangenehmen Formen.) In der Unter- bzw. Zwischenwelt gibt es diverse Strafen für Missetaten zu Lebzeiten. Beispiele dazu: 


Jenseitige Strafen: eine nach dem Tod ihres ersten Ehemannes wiederverheiratete Frau wird halbiert (rechts oben)


Jenseitige Strafen: der Messerberg (links); putzsüchtige Frauen werden gehäutet (rechts oben)

Seelen von Menschen, die bestimmte Untaten begangen haben, kommen nicht in die Unterwelt, sondern verbleiben auf Erden in einer Art Zwischenwelt; weil sie keine Opfer erhalten, können sie böswillig werden und sind daher für die Lebenden gefährlich – man muß also Schutzmittel gegen sie ergreifen.

Zur Versöhnung wird das interkonfessionelle Fest der Hungrigen Geister gefeiert.

 

Für den Vollzug des taoistischen Exorzismus bekleidet sich der Abt mit dem Drachenmantel; weiters verfügt über ein rituelles Schwert.


(Photo: © M. Litscher)

Zunächst droht er den Geistern mit dem Donnergott, dann schwenkt er einen Wimpel und ruft die Götter zu Hilfe, um die Dämonen los zu werden; schließlich fängt er die Dämonen mit der Geisterpeitsche ein.


Geisterpeitsche

Zuletzt zückt er sein magisches Schwert und sticht den Dämon ab. Nach dem chinesischen Neujahrsfest finden Exorzismus-Tänze statt; wichtig ist dabei das Feuerwerk.

Noch zu den Totengeistern:

wenn jemand direkt im Haus stirbt, ist das den Hinterbliebenen unbehaglich; üblicherweise vermeidet man das, indem man vor dem Haus ein Zelt errichtet und den Moribunden dort hinein bringt. Um zu vermeiden, daß der Verstorbene ein Wiedergänger wird, werden ihm die Füße vor dem Begräbnis zusammengebunden. Wenn später in diesem Haus ein Kind geboren wird, werden diese Schnüre zu einem bestimmten Datum – symbolisch – aufgeschnitten.

Die Geisterwelt spiegelt sich auch in der Literatur, in Form von Geistergeschichten, aber auch in Form großer Romane, Opern oder Schattenspiel. Bekannt ist z.B. „Die Reise nach dem Westen“, ein so umfangreiches Stück, daß es an der Oper oder als Schattenspiel einen Monat lang durchgespielt werden kann, ohne daß Szenen wiederholt würden.


Aus dem Stück: „Die Reise nach dem Westen“

Stabpuppen für das Schattenspiel
  

Apotropäisch wirkt auch ein Spiegel, der insbesondere in ländlichen Gegenden weithin Gebrauch findet.

Für uns Europäer ist wohl am verwunderlichsten die Tatsache, daß der Kaiser – die höchste Instanz schlechthin – seine Autorität auch über die Götter erstreckt, er kann sie erhöhen oder erniedrigen, wie es ihm beliebt.

Der Vortrag hat einen überaus interessanten Einblick in eine den meisten von uns fremde, faszinierende Welt geboten.