Als Hans Bender (1907 – 1991), die dominierende Persönlichkeit der deutschsprachigen Parapsychologie nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1950 sein Forschungsinstitut in Freiburg i. Br., BRD, eröffnete, gab er ihm den Namen „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß die Anliegen der psychischen Hygiene – d. h. des seelischen Gesundheitsschutzes – gleichberechtigt neben den Forschungsagenden stehen und aus humanitären Gründen einen permanenten Begleitauftrag der Parapsychologie darstellen. In unseren Tagen ist vielfach von einer „Bringschuld“ der Wissenschaften gegenüber der Gesellschaft, deren Institutionen ja die Voraussetzung für den Wissenschaftsbetrieb1 sind, die Rede: die der Psychohygiene immanente Aufklärung2 breitester Bevölkerungsschichten über die wahre Natur der paranormalen Erscheinungen kann als Abstattung dieser Schuld gesehen werden.
Zwei Stoßrichtungen dieser Aufklärungsarbeit stehen im Vordergrund:
– in Hinblick auf die Anwendung okkulter Praktiken, z. B. Tisch- und Glasrücken, spiritistische Sitzungen, Stimmenaufnahmen, Pendeln etc. (aktive Betätigung)
– in Hinblick auf die Konsultation von Wahrsagern, Hellsehern, medialen bzw. esoterischen Lebensberatern sowie Vertretern anderer Systeme, die einen „Blick in die Zukunft“ versprechen, weiters von spiritistischen Medien und anderen Vermittlern eine „Jenseitskontaktes“, sowie in Bezug auf angebliche Hilfestellung aus dem Bereich „Magie“ (Konsum okkulter Dienstleistungen)
1. Bei aktiver Ausübung von Okkultpraktiken geht es um eine mögliche Gefährdung der psychischen Stabilität und Gesundheit; die Aufklärungsarbeit richtet sich daher auf das Aufzeigen der primären verhaltensmäßigen bzw. gesundheitlichen Gefahren, nämlich:
die möglichen Abhängigkeit von diesen Praktiken, die bis zu Suchtverhalten reichen kann, und das Delegieren der Eigenverantwortung an die fragwürdigen „anderweltlichen“ Instanzen
psychischen Dissoziationen, die bis hin zu sogenannten „mediumistischen Psychosen“ reichen können:
ein unkundiges bzw. unüberwachtes Praktizieren von seelischen Ausnahmezuständen (Trance, psychische Automatismen wie z. B. automatisches Schreiben) kann in der Produktion von „Spaltpersönlichkeiten“ (vgl. auch multiple Persönlichkeiten) resultieren, die sich u. U. so stark verselbständigen können, daß sie quasi ein Eigenleben zu führen beginnen und schließlich die Hauptpersönlichkeit zu dominieren versuchen (z. B. spiritistische Medium, die schließlich auch im Wachzustand die Stimmen der „Geister“ hören, durch welche sie dann geplagt werden und welche sie nicht mehr ohne psychotherapeutische Intervention los werden können).2. Was die Konsultation von Wahrsagern, Hellsehern, okkulten Lebensberatern und spiritistischen Medien, aber teilweise auch „Reinkarnationstherapeuten“ betrifft, so hat die parapsychologische Forschung klar erwiesen, daß Außersinnliche Erfahrung/Wahrnehmung nicht willkürlich zur Verfügung steht und daß sie von verschiedenen Komponenten, z. B. der emotionalen Involvierung, abhängig ist, sodaß die Werbeversprechen dieser okkulten Dienstanbieter3 als vom wissenschaftlichen Standpunkt aus völlig unhaltbar bezeichnet werden müssen. Die Aufklärungsarbeit hat zum Ziel, diese Zusammenhänge zu transportieren, indem sie die wesentlichen Probleme aufzeigt:
in der Mehrzahl der Fälle werden – bewußt oder auch unbewußt – bestimmte Verfahren angewandt, die paranormalen Informationsgewinn vortäuschen sollen:
Rateverfahren, Abstimmung auf die Reaktion des Klienten, allgemein gültige Schemaaussagen etc.
Hier wird also der Klient getäuscht; das Risiko ist finanzieller Verlust unterschiedlichen Ausmaßes.in einer Minderzahl von Fällen mag es wirklich zum Auftreten paranormaler Phänomene kommen, wobei sich jedoch eine sehr ernste Gefahr dadurch ergibt, daß (auch gutwillige) Sensitive die Quelle ihrer Information mißverstehen, sodaß z. B. ein bloßer Verdacht, den ein Klient hegt („mein Partner geht fremd“ oder „N. N. hat mich geschäftlich hineingelegt“) vom Sensitiven telepathisch erfaßt wird, dem Klienten dann jedoch als Tatsachenmitteilung kundgetan wird, der daraufhin seinen (möglicherweise objektiv unbegründeten) Verdacht bestätigt sieht. Durch derartige falsche Schuldzuweisungen sind schon menschliche Tragödien ausgelöst worden; das mögliche Risiko geht demnach weit über lediglich finanziellen Verlust hinaus.
3. „Magische Einflußnahme“ ist eine weitere okkulte Dienstleistung, die vor allem in Form von Schutz- und Abwehrzauber, aber auch als Glücks- und Liebeszauber und nicht zuletzt als Schadzauber angeboten wird, vielfach verknüpft mit der Verkauf von Amuletten, Talismanen und „magischem“ Schmuck. Obwohl die Kontaktanbahnung in diesem Bereich zumeist in Form von Massensendungen, oft Serienbriefe mit persönlicher Anrede, erfolgt, welche schon ihrer Aufmachung nach das Kainsmal des Unseriösen tragen – so wird dem Empfänger für den Fall, daß er nicht auf das Angebot eingeht, Unglück prophezeit, wobei es sich um dieselben Droh- und Einschüchterungsversuche wie bei den sattsam bekannten Kettenbriefen (per Post oder per E-mail) handelt – scheint dieses „Geschäft“ nach wie vor zu funktionieren, denn gerade bei Menschen, die sich in einer momentanen Notlage befinden, mag die Kritikfähigkeit in den Hintergrund getreten sein und der Wunsch, jeden Strohhalm zur Rettung zu ergreifen, übermächtig geworden sein. Daß für die hier in Aussicht gestellten „magischen“ Effekte (ebenso wie für die Drohungen bzw. Unglücksankündigungen) nicht die geringste wissenschaftliche Grundlage besteht – die von der Parapsychologie studierten „nicht-lokalen“ Phänomene sind zwar sehr robust, aber um viele, viele Größenordnungen geringer – ist evident; das besonders Perfide an dieser Form des Betrugs ist, daß es gerade Menschen in Notlagen sind, die hier systematisch hereingelegt werden. Daher ist es ein gesellschaftliches Anliegen, die Bevölkerung zunächst durch entsprechende Information aufzuklären und damit gegen derartige Betrügereien rechtzeitig zu immunisieren, in weiterer Folge aber auch, über den Rahmen dieser psychohygienischen Maßnahmen hinausgehend, durch gerichtliche Verfolgung derartige „Okkulttäter“4 unschädlich zu machen, ein Anliegen, das bereits auch von verschiedenen Konsumentenschutzorganisationen aufgegriffen worden ist.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es im Bereich der Psychohygiene um den Abbau mißverständlicher Konstrukte in Bezug auf den Bereich des Paranormalen, um die Reduktion überzogener Erwartungen auf ein realistisches Niveau, um die Vermeidung abergläubischer Überhöhungen und um die Bekämpfung irrationaler Ängste geht, und daß kompetente Information der beste Schutz gegen die genannten Gefahren und gegen sektiererische Fehlinterpretation darstellt:
Positive Sachinformation als Immunisierung gegen Aberglauben.
Dies beinhaltet weiters auch eine auf wissenschaftlicher Basis beruhende Kritik des gegenwärtigen Esoterik-Booms, der natürlich seinerseits weit über jene Bereiche hinausgeht, hinsichtlich derer die Parapsychologie der kompetente Ansprechpartner ist (z. B. Aura-Photographie, Astrologie, Numerologie, Tarot, Kornkreise, Loch Ness, Bermuda-Dreieck, UFOs und „Ancient Astronauts“, Palmblatt-Bibliotheken, Druiden, Hexen und Weise Frauen, Kräfte von Edelsteinen und Kristallen, Plätze der Kraft, Abschirmung von „Erdstrahlen“ u. v. a. m. – nichts ist so skurril, daß es nicht Anhänger fände).
Scharlatanerie und Mißbrauch sind hier auf Schritt und Tritt anzutreffen – von Verunsicherungen, unhaltbaren Versprechungen bis hin zu plumper Geschäftemacherei, ja glattem Betrug –, deren Abwehr berührt sich somit mit Anliegen des Konsumentenschutzes (nicht umsonst sind z. B. die Arbeiterkammern in dieser Angelegenheit sehr aktiv und teilweise auch an unsere Gesellschaft herangetreten), darüber hinaus in Teilen, z. B. in Hinblick auf den sogenannten „Jugendokkultismus“, auch mit der Sektenproblematik und der Problematik sogenannter Psychogruppen.
Anders als in der Bundesrepublik Deutschland, wo es gleich zwei parapsychologische Beratungsstellen gibt (beide in Freiburg i. Br.), existiert bei uns keine derartige Institution. Der Plan, eine analoge Beratungsstelle an der Sigmund Freud PrivatUniversität zu etablieren, hat sich (zumindest bisher) nicht realisieren lassen.
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1) Allerdings ist im Bereich der Parapsychologie die Forschungsförderung so gering, daß hier von einer Schuld an die Gesellschaft die Rede nicht sein kann, die Verhältnisse liegen geradezu umgekehrt. Das dispensiert aber nicht vom humanitären Auftrag.2) Hans Bender prägte hiezu das Wort von der „positiven Kritik des Aberglaubens“.
3) Seit einiger Zeit pflegen sich derartige okkulte Dienstanbieter selbst als „Parapsychologen“ zu bezeichnen, ein Wort, das den Vertretern einer wissenschaftlich ausgerichteten Parapsychologie vorbehalten sein sollte. Schon Hans Bender hat beredt darüber Klage geführt, daß das Wort „Parapsychologie“ und seine Ableitungen nicht geschützt ist und daß jeder davon Gebrauch machen kann. Wir haben seit Jahren ein Psychologengesetz sowie, wenn auch noch nicht so lange, eine gesetzliche Regelung für Lebens- und Sozialberater; ein Parapsychologiegesetz hingegen existiert nicht. Der Versuch, auf andere Wortbildungen – z. B. das von Bender verwendete „Grenzgebiete der Psychologie“ – auszuweichen, ist problematisch, weil auch diese Worte von den unseriösen Geschäftemachern sehr schnell usurpiert werden. Die Wissenschaft läuft da gleichsam stets hintendrein, in dem Bemühen, sich auch terminologisch von den Scharlatanen abzugrenzen.
4) Das Wort geht auf den Kriminologen Herbert Schäfer und sein gleichnamiges Buch [1959] zurück.
© Peter MULACZ