Kurzbericht über den Vortrag
von  Hermann Harrauer
              

Magie im alten Ägypten

anhand ägyptischer Zauberpapyri

          

Die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek ist mit Abstand die größte der Welt, sie enthält ca. 180.000 Papyri (gefolgt von der Berliner Sammlung mit ca. 40.000); in ihrem Ursprung geht sie auf den auch sonst als Mäzen bedeutenden Erzherzog Rainer zurück, der mit einem bedeutenden Großankauf – wie er heute nicht mehr denkbar ist – den Grundstein zu dieser Sammlung gelegt hat.   
In dem vor nicht
allzu langer Zeit eröffneten Papyrusmuseum der Nationalbibliothek (Eingang Heldenplatz) – übrigens das weltweit einzige Papyrusmuseum – sind eine Reihe bedeutender Papyri aus der Sammlung schaugestellt; besonderes Interesse kommt dabei wohl dem ägyptischen Totenbuch mit seiner Darstellung des Jenseitsgerichts zu, von dem zwei bedeutende Exemplare aus verschiedenen Epochen vorhanden sind. Unser Referent ist der Direktor der Papyrussammlung und des Papyrusmuseums.

Die meisten der im Vortrag im Diapositiv oder teils auch im Original vorgestellten Objekte waren Papyri in griechischer Schrift (zu deren Interpretation unser Referent als Gräzist besonders prädestiniert ist), einzelne auch mit koptischem Text, wobei diese zumeist durch das Symbol des Kreuzes sogleich auffallen

Aus seiner langjährigen Auseinandersetzung mit diesen magischen Objekten hat der Referent zunächst eine Reihe

allgemeine Grundregeln

zur antiken Magie abstrahiert, die zum Teil auch eine Klassifikation beinhalten:
         

Buchstaben- bzw. Wortmagie

Ein Ding oder eine Person zu kennen, d. h., den Namen zu kennen, das Ding oder die Personen benennen zu können, bedeutet im magischen Weltbild, Macht über dieses Objekt oder diesen Menschen zu besitzen. (Ein bekanntes Pendant zu dieser Denkweise findet sich im "Rumpelstilzchen" der Brüder Grimm.) Somit wird zunächst der Name, in weiterer Folge das Wort bzw. die Sprache und schließlich deren Elemente, die Buchstaben, zu Trägern dieser magischen Macht. Eine besondere Bedeutung kommt dabei schließlich den Vokalen zu; wenn etwa am Ende eines Textes der erste und der letzte Vokal des Alphabets nebeneinander gestellt werden, so schließt dies, magisch gedacht, alle Sprache, und damit alle Dinge, die benennbar sind – somit die ganze Welt – mit ein.

A W

Gerne werden die Vokale auch in der Form angeordnet, daß der erste Vokal einmal, der zweite zwei Mal, der dritte drei Mal usw. gesetzt wird, woraus sich eine Art von Buchstabenpyramide ergibt:

a
e e
h h h
i  i  i  i
o o o o o
u u u u u u
w w w w w w w

bzw. in umgekehrter Anordnung:

  w w w w w w w
u u u u u u
o o o o o
i  i  i  i
h h h
e e
a

In der umgekehrten Anordnung, die sich wie ein Keil darstellt, sollen wohl die Kräfte von "oben" auf einen kleinen konkreten Bereich fokussiert werden, um eine Konzentration zu bewirken.
       

Bildmagie

Bedeutet schon der Name Macht über ein Objekt (einen Menschen), umso mehr dann ein Bild, welches dieses Objekt, vielfach eine Person, repräsentiert.          
            

Mimetischer Zauber und Zauberpuppen

An der Zauberpuppe werden jene (symbolischen) Handlungen vollzogen, die sich auf den betreffenden Menschen beziehen und bei ihm die entsprechenden Verhaltensweisen auslösen bzw. ihn zu diesen zwingen sollen. Die zugrundeliegende magische Vorstellung ist also bereits in der Antike ausgebildet und identisch mit derjenigen, die z.B. vom Voodoo her bekannt ist, wie dies bereits mehrfach bei unseren Vorträgen Erwähnung gefunden hat.

Puppe für Liebeszauber

<< Hier handelt es sich um einen Liebeszauber:

Nadeln durchbohren die Stirn ("nur mich sollst Du 'im Kopf haben'"), die Augen ("nur mich sollst Du sehen"), die Brust bzw. das Herz, das Genitale, Hände und Füße.

   

Puppen für Bindezauber

Von Relevanz ist dabei schließlich auch das Material, aus dem derartige Puppen gefertigt sind:  vielfach handelt es sich um unedle Metalle (z.B. Blei), die als chthonisch aufgefaßt werden und daher mit der Natur des beabsichtigen magischen Prozesses korrespondieren.        
          

Ambivalenz des Zaubers

Ein Zettel mit den darauf geschriebenen Worten "kakh tuch " (= Unglück) bannt das Unglück auf das Papyrusblatt:  das Unglück kann mir somit nichts mehr anhaben (Abwehrzauber).    
Ich kann jedoch den Zettel
– und damit das auf den Zettel gebannte Unglück – auch dem Nachbarn oder ein anderen mißliebigen Person zustecken, die es dann treffen wird (Schadzauber).        

Ein Beispiel für eine andere Art von Ambivalenz:

Das vom waagrechten Strich "durchbohrte" Auge verhindert den "bösen Blick"; wenn ich das Amulett um 90° drehe, wird daraus der Buchstabe "Phi", mit dem das Wort "Phylaktιrion" (= Schutzmittel) ausgedrückt ist. Der Träger dieses Amuletts ist dann gegen viel mehr Übel geschützt als gegen den "bösen Blick" allein; hingegen fokussiert die Drehung zum Augenamulett sozusagen die Wirkung gegen das mal'occhio:

Amulett auf Papyrus
Je nach Ausrichtung des Amuletts kann in dem Symbol in der Mitte ein Auge oder der Buchstabe F gesehen werden
(für
fulakthrion = Schutz-, Abwehr[mittel])

 

Magische Zeichen

Papyrus mit magischen Zeichen

Wie schon die "normalen" Buchstaben, so tragen auch die magischen Zeichen "Kraft" in sich, und damit sich diese nicht verströmt und die Schrift magisch entleert wird, so werden die Enden der Zeichen gerne in Form kleiner Kreise ausgeführt, welche die Kraft in sich zurückleiten und somit festhalten. Sofern es sich bei den Zeichen um Buchstaben handelt, spricht man dann aufgrund deren Form von "Brillenbuchstaben".        
           

Magische Sprüche

Z. B. Abrakadabra, Akramachramarei; vielfach auch Palindrome, wie Ablanathanalba oder das schon in der Antike bekannte und bis in die jüngere Vergangenheit auch in unserem eigenen Kulturkreis angewandte "Sator-Arepo":

S A T O R
A R E P O
T E N E T
O P E R A
R O T A S

Sator-Arepo-Quadrat
                  
          

Isopsephie

Die griechische Sprache verwendet, wie auch manche andere, ihre Buchstaben regulär (d.h., auch im profanen Bereich) gleichzeitig auch als Ziffern, und zwar je nach ihrer Stellung im Alphabet:

a = 1, b = 2, g = 3, d = 4, usw.

Dieser Gebrauch hat sich – für besondere Fälle, etwa jene, wo wir die "römischen Zahlen" verwenden – auch im heutigen Neugriechischen erhalten. Im Bereich der antiken Magie ist nun diese Konvertierbarkeit von Buchstaben in Zahlenwerte und vice versa von hoher Bedeutung; in weiterer Folge können Ziffernsummen die ihnen zugrundeliegenden Wörter ersetzen, z.B. AMHN = 99.

       
Zahl
       

      
Bedeutung
       

9      Gott
10      Jesus
15      Kirche
6      Maria

Freilich war dies eine Kenntnis, die nur den Wissenden, den Eingeweihten, geläufig war.       
            

 Aoroi

Zu früh Verstorbene (griechisch: aoroi) – das sind Verunglückte, Ermordete, Hingerichtete, alle gewaltsam aus dem Leben Geschiedenen – beneiden die Lebenden und sind daher willens, den Lebenden Schaden zuzufügen. Deshalb kann man sie als Dämonen für den Schadenszauber bemühen und auf ihre wirksame Hilfe hoffen.     

Eine parapsychologische Anmerkung dazu:   es fällt auf, daß es dieselbe wohlbekannte Gruppe der vorzeitig Verstorbenen ist, die hier – im Rahmen der antiken Magie – als Dämonen (und somit Gehilfen für Schadzauber) auftritt, während die zu früh Verstorbenen im Bereich jener Kulturen, in denen der Glaube an Reinkarnation endemisch ist, sich gemäß den Berichten von Kindern, die "sich an frühere Leben erinnern", diejenigen sind, welche sich wiederverkörpern; ja es handelt sich bei den Reinkarnationserinnerungen ausschließlich um solche (angebliche) Vorexistenzen, in denen das Leben nicht hat völlig ausgelebt werden können. (Vgl. die Publikationen von Ian STEVENSON, Erlendur HARALDSSON, Jürgen KEIL, Antonia MILLS u.a.)               

                                      

Die rituelle Magie ist dadurch gekennzeichnet, daß es auf peinlichste Befolgung aller möglicher Details ankommt, um die Wirkung sicherzustellen. Daher gibt es zahlreiche

besondere Regeln,

die genauestens einzuhalten sind. Der Referent hat eine Reihe von ihnen vorgestellt und diskutiert. Aufgrund der hohen Wertschätzung, die der Name und das Wort – und damit auch die dieses bildenden Laute an sich, vor allem die Vokale – in der Magie genießen, stehen Ausspracheregeln im Vordergrund:            
             

Aussprache der Vokale
       

a) generelle Anweisung:

Das a mit geöffnetem Mund, wie Wogen rollend
Das
o kurz, zur Bedrohung der Geister
Das
iaw zu Erde, Luft und Himmel
Das
e in der Hundskopfaffensprache
Das
h freudig hauchend
Das
u nach Hirtenart, lang

                   

b) spezielle Anweisungen:

Beim Sprechen sage „a"  nach Osten, wobei du die rechte Hand auf die linke Seite und die linke Hand ebenso auf die linke Seite streckst
Nach Norden, die Faust der Rechten vorstreckend, sage
„e
Nach Westen, beide Hände vorsteckend, sage
„h"  
Nach Süden, beide Hände an den Mund haltend,
„i
Zur Erde bücke dich, berühre die Fußspitzen und sage
„o
In die Luft blickend, die Hand aufs Herz haltend, sprich
„u"  
Zum Himmel blickend lege beide Hände an den Kopf und sage „
w" .

                    

 

Himmel

 

a

wwwwwww

i i i i

 Osten

wwwwwww

uuuuuu

   ee

ooooo

hhh  

Süden  

 Luft

 

 Norden

Westen  

 

Erde

 

                       

c) spezielle Anwendung in einem Diebszauber: 

A  EE  HHH  I I I I  OOOOO  UUUUUU  WWWWWWW
W
UU
I I I I
HHHHH
EEEEEE
AAAAAAA
"Auge", mit bestimmten Ingredienzien zu zeichnen A
EE
H H H
I  I  I  I
E E E E E
AAAAAAA
IAW  WIA  IWA  A  HIW   HWA  WAH

„Nimm rohen Knoblauch und Ochsenzunge, presse sie und verbrenne das Ausgedrückte. Mische die Asche mit dem Saft und zeichne damit ein großes Auge an eine Wand und nimm Galgenholz, schnitze einen Hammer daraus und schlage mit ihm auf das an die Wand gezeichnete Auge und gleichzeitig sage den Spruch: 'Ich beschwöre dich bei den heiligen Namen A EE HHH IIII OOOOO UUUUUU WWWWWWW  liefere den Dieb aus, der dasunddas genommen hat, und bei den furchtgebietenden Namen. Liefere aus den Dieb, der das Betreffende gestohlen hat. Wie ich das Auge schlage mit diesem Hammer, so soll das Auge des Diebes geschlagen werden und es soll brennen, bis er sich selbst verrät. Bei diesen Worten klopfe mit dem Hammer an die Wand!"     

Das Motiv des Schlagens eines Bildes eines "Dämons", um diesen zu reizen, ist als gleichsam magische Vorstellung auch aus anderen Zusammenhängen bekannt, und zwar bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein (z.B. Spukfall Zugun), wie ich in der – übrigens sehr lebhaften – Diskussion bemerkt habe.               

               

Kleidungsvorschriften

Nur Leinengewand, keine Wolle; Sympathie der Natur. Im Gewand und ungeschnittenen Haar keinen Knoten!        

                                                         

Günstige Tageszeiten für Orakel
                  

1. morgens 11. abends 21. abends
2. mittags 12. ganztags 22. abends
3. gar nicht 13. ganztags 23. morgens
4. morgens 14. morgens 24. morgens
5. morgens 15. ganztags 25. gar nicht
6. gar nicht 16. gar nicht 26. abends
7. mittags 17. gar nicht 27. ganztags
8. ganztags 18. morgens 28. ganztags
9. gar nicht 19. morgens 29. ganztags
10. ganztags 20. morgens 30. abends
 

                       
Ungünstige Tage
         

      07. Jänner 03. April 01. Juli 01. Oktober
  19. Jänner 09. April 02. Juli 07. Oktober
  21. Jänner 10. April 03. Juli 16. Oktober
  26. Jänner 15. April 08. Juli 17. Oktober
  27. Jänner 28. April 12. Juli 03. November
  04. Februar 29. April 13. Juli 04. November
  08. Februar 07. Mai 16. Juli 05. November
  13. Februar 08. Mai 03. August 13. November
  03. März 16. Mai 07. August 18. November
  04. März 21. Mai 13. August 19. November
  05. März 23. Mai 16. August 23. November
  31. März 26. Mai 18. August 01. Dezember
    27. Mai 24. August 02. Dezember
    04. Juni 29. August 09. Dezember
    05. Juni 01. September 11. Dezember
    09. Juni 09. September 12. Dezember
    14. Juni 10. September 20. Dezember
      19. September 21. Dezember
      29. September 29. Dezember
        30. Dezember
     

                
Gestirnkonstellationen
                  

  Mond steht in: 
             
  

                       gut für:
             

Jungfrau
Waage
Skorpion
Schütze
Steinbock
Wassermann
Fisch
Widder
Stier
Zwillinge
Krebs
Löwe
      alles bezwingende Zauberhandlungen
Totenbefragung
schweren Schadenszauber
Anrufungen und Besprechungen von Sonne und Mond
was man will mit den allerbesten Aussichten
Liebeszauber
Erkenntnis der Zukunft
Feuerzauber und Zwangzauber
Lichtbesprechung, also Lichtzauber
Liebes- und Sympathiezauber
Schutzamulette
Bannzauber

                                 

Abschließend noch ein Beispiel zum Kapitel

praktische Magie,

und zwar ein Amulett zur Beschwichtigung eines Zornigen:

Das Zauberplättchen gegen einen Zornigen

        

„Es wirkt gegen alle: gegen Feinde und Ankläger und Räuber und Schreckensgeister und Traumgespenster. Nimm eine goldene oder silberne Platte, ritze auf sie die Zauberzeichen und die Zauberworte (Ablanathanalba und Akramachramarei), weihe sie und trage sie in Reinheit!“        
             

Dem Vortrag folgte – wie immer in unserer Gesellschaft – eine Diskussion, wobei die Zeit bei weitem nicht ausgereicht hat, um alle Anfragen zu beantworten. Gleichsam der Höhepunkt war die abschließende Besichtigung der neun Originalpapyri, die der Referent freundlicherweise mitgebracht hat, wofür ihm an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei. Vielleicht ist das für manche Mitglieder unserer Gesellschaft und/oder Leser dieser Seite ein Anreiz, dem Papyrusmuseum bald einen Besuch abzustatten! Um Lust auf mehr zu machen, zum Abschluß drei Bilder, die dem (von unserem Referenten verfaßten) Informationsblatt "Magie (Vitrine 11-13)" des Papyrusmuseum entnommen sind:
 

      

Sator-Quadrat

Engel Rufos-Amulett

Skorpion-Amulett

                       


          
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